Kleine bunte Papierfische zappeln von Kinderhand bewegt über den farbenfroh gestalteten Aquarienhintergrund. „Hände weg!“ Anzor gibt den Ton an. Der Achtjährige tippt zweimal auf die Leertaste der Tastatur, die vor ihm liegt, und die Kamera über der Szenerie löst ein Bild aus. Anzor ist Teil der Filmprojekttage, die Marie-Ulrike Callenius zusammen mit Silke Gänger und Hanna Essinger vom „Papierkino“ auf die Beine gestellt hat. „Kundschaft“ nennen sie dieses Projekt, das Kindern mit Migrationshintergrund den eigenen Kiez näher bringen soll.
Marie-Ulrike Callenius und Silke Gänger sind beide Diplom-Designerinnen, Callenius hat den Tätigkeitsschwerpunkt Film, Silke Gänger arbeitet als Cutterin. Hanna Essinger ist dagegen Schauspielerin. Alle drei haben in verschiedenen Einrichtungen wie Förderschulen und Kindergärten gearbeitet, gestalten dort Projektwochen zum Thema Film.
Auf Kundschaft im Kiez
Im „Kundschafts“-Projekt geht es darum, den Kiez zu entdecken. Dabei die Sprachbarriere und die Angst vor der deutschen Sprache, dem Sprachaustausch an sich, zu überwinden ist dem Trio aus Pankow wichtig. „Wir dachten, dass dieses Projekt ganz gut zu Kindern passt, die hier gerade neu sind“, erklärt Marie-Ulrike den Projektansatz. „Gerade diese Kinder sollten sich trauen, Leute anzusprechen, in einen Laden hinein zu gehen, sich vorzustellen und zu fragen: ‚Was machst du da?'“, so Callenius weiter. Im Fokus der gemeinsamen Erkundungstour stehen ein Angel- und ein Blumenladen sowie ein polnisches Delikatessengeschäft.
Am Ende des Projektes in einigen Wochen wird der Film durch die Kinder präsentiert, auf einem Kiezspaziergang läuft man noch einmal die Stationen ab. Kleine Schaukästen, die mit den Bastel- und Malergebnisse bestückt sind, werden in den teilnehmenden Läden ausgestellt. Die Kinder freuen sich augenscheinlich, etwas in ihrem Kiez hinterlassen zu dürfen.
Die Filmprojekte sind zeitlich und finanziell aufwändig. Laut Callenius lassen sie sich nur mithilfe einer Förderung umsetzen. Doch die Freude darüber, wie die Kinder in Projekten wie diesem aufblühen, überwiegt. „Es gibt Kinder wie Anzor, die eigentlich ganz wenig sprechen, sich hier aber eine Funktion in der Gruppe suchen“, meint Callenius. So hat der Achtjährige sich beispielsweise wenige Worte wie „Hände weg!“ gemerkt und weiß, dass sie gut passen, wenn er Regieanweisungen gibt. Das verleiht ihm ein wenig mehr Selbstbewusstsein.
„Integration fängt mit Sprache an“
In der Klasse selbst befinden sich Kinder mit ganz unterschiedlichem Sprachniveau. Mit einem „Patenkind“, das in schwierigen Situationen übersetzt, wird die Sprachbarriere während des Projektes überwunden. Auch Klassenlehrer Kamoliddin Bediev freut sich über die Fortschritte, die seine Schützlinge mit der deutschen Sprache tagtäglich machen. Er meint, dass es viel mehr solcher Projekte, wie es Callenius, Gänger und Essinger anbieten, geben sollte. „Integration fängt mit Sprache an“, meint Bediev. Auch er hat Migrationshintergrund, kommt aus Usbekistan. Bediev ist einer von vier Lehrern, die Unterricht in den vier Willkommensklassen der Grundschule geben. Seit Oktober 2013 unterrichtet er Kinder die vorrangig aus Flüchtlingsfamilien stammen in der deutschen Sprache.
Er wünscht sich, dass viel mehr Zeit und Geld investiert wird, um Kinder mit Sprachbarrieren zu fördern. Das kommt natürlich in erster Linie ihrem späteren Schulabschluss zugute – ohne den es keine Ausbildung oder kein Studium, also generell keine besonders guten Zukunftschancen gibt. „Es gibt nicht in jeder Schule Willkommensklassen“, klagen auch die Projektleiterinnen aus Pankow. „Es wird ganz schlecht finanziert. Eigentlich will das keine Schule so wirklich machen – dennoch ist so eine Maßnahme teils bezirklich verordnet“, so Callenius. Für sie ist die Hermann-Schulz-Grundschule Vorbild. „Sie ist eine der ganz wenigen Schulen, die sich schon bevor es diese Auflage gab, dafür stark gemacht hat“, so Callenius weiter. „Dafür hat sie auch einen Integrationspreis bekommen.“