„Also, hier die Treppen hoch, dann links, dann rechts, dann wieder runter und da drüben wieder ruff“. Der S-Bahn-Mitarbeiter, der uns den Weg durch den Bahnhof Ostkreuz zeigt, dieses bauliche Labyrinth, fuchtelt energisch mit den Armen. Er hat seinen Satz an diesem Tag wahrscheinlich schon 200 Mal aufgesagt, zu diesem Zweck steht er hier, mit einem Lächeln, und spendet dem geehrten Fahrgast Trost: „Is nu mal so uffe Baustelle“.
Wir wollen von dem Bahnsteig, der stadtauswärts führt, eine Etage weiter hoch zur Ringbahn. Ich zähle mit: 27 durchlöcherte metallene Stufen hinauf, 27 wieder hinunter, 150 Schritte und schließlich noch einmal 41 Stufen, ehe man außer Atem an den Gleisen 11 und 12 ankommt. Oben zieht es fürchterlich. Der Wind scheucht den Sand auf, der rings um das durchwühlte Gleisbett in großen und kleinen Haufen verteilt ist. Metallsägen plärren, Funken stieben um Schweißerohren wie verrückte Glühwürmchen, Kipper fahren umher.
Endlich Fahrstühle für den Bahnhof Ostkreuz
1882, also vor 130 Jahren, eröffnete man den Bahnhof unter der Bezeichnung Stralau-Rummelsburg, 1933 wurde der Name in Ostkreuz geändert. Heute, so die Schätzung der Bahn, nutzen diesen äußerst klug gestalteten Knoten zum Verkehr in die Stadt hinein, aus ihr heraus und zum Ringverkehr um Berlin herum bis zu 140.000 Fahrgäste, die, scheinbar schon immer, voll besetzte Kinderwagen, Koffer, Kisten und Fahrräder die Treppen hoch und runter bugsieren. Die steinernen Stufen waren zuletzt ausgetreten, abgewetzt und brüchig.
In der DDR erkannte man irgendwann die Notwendigkeit des Umbaus, aber auch, dass keinerlei Voraussetzung für diese Mammutaufgabe erfüllt ist. Also hat sich keiner ans Ostkreuz getraut. Die Bahnsteige waren schmal und richtiggehend antik mit Säulen, die Süd- und Nordkurven wurden irgendwann geschlossen, und es ähnelte immer einer Spielerei mit Zufällen, wenn man auf dem oberen Bahnhof stand, auf welchem Gleis denn nun unten zuerst ein Zug Richtung Stadt fährt, auf dem linken oder auf dem rechten. Dann rannten auf einmal alle los, es war wie in dem Film „Ferien des Monsieur Hulot“.
Seit 2007 läuft der vollständige Umbau des Bahnhofs, fast alles unterm rollenden Rad, wie Fachmänner sagen. Für 411 Millionen Euro. Bis 2016. Dann stoppen hier auch Regionalzüge, das Drängeln auf den Treppen wird weniger, weil zehn Fahrtreppen und genauso viele Fahrstühle existieren, im Moment wird der erste montiert. Der nahe gelegene Wasserturm, seit einem Jahrhundert ein Symbol der Gegend, bleibt stehen. Das Modernste, die Ringbahnhalle, wird alle am Ostkreuz ab 16. April erfreuen. „Da sind wir schon gespannt drauf“, so die Kellnerinnen im Restaurant Lykia – „bei uns hier am Annemirl-Bauer-Platz hat sich durch die Bauerei nichts verändert, unsere Stammgäste, die Touristen und Reisegruppen trinken nach wie vor ihren Absacker im Kiez.“
Neue Bahnhofshalle Ostkreuz
Von der Sonntagstraße aus erscheint die neue Glasfassade noch immer fremd, doch sie weckt Neugierde: 1449 Tonnen Stahl sind in dem 123 Meter langen, 15 Meter hohen und bis zu 48 Meter breiten Bauwerk verbaut. Die Fläche der 450 Glasscheiben entspricht der eines Fußballfeldes. Eindruck macht die Halle, die den Fahrgästen endlich ein Dach überm Kopf gibt, mit den überraschenden Details ihrer Optik. Wenn man auf der Fußgängerbrücke auf der gleichen Ebene entlanggeht, sieht man die Spiegelung der Friedrichshainer Silhouette im frisch gereinigten Glas: den Narva-Turm, die Zwingli-Kirche, Wohnhäuser und hinten den Fernsehturm. Das wird romantisch verspiegelte Sonnenuntergänge geben, wenn die Halle in Betrieb genommen wird.
Bis zur Premiere am 16. April aber wird noch viel getan und gelitten. Denn ab 30. März, 22 Uhr, bis 16. April, 1 Uhr 30, wird der Bahnhof vollständig gesperrt. Auf den Strecken Baumschulenweg – Ostkreuz und Neukölln – Schönhauser Allee wird ein Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Das Bahnbau-Maskottchen Max, der Maulwurf, erklärt auf einem Flyer, wieso: Die Signal- und Sicherungstechnik wird erneuert, das elektronische Stellwerk Frankfurter Allee nimmt den Betrieb auf (dafür wurden 240 Kilometer Kabel verlegt) und zu den neuen Ringbahnsteigen muss man die Gleise einschwenken. Am bisherigen Ringbahnsteig „halten dann die ganz großen richtigen Züge“, so der Bahnsteigchef mit seiner roten Mütze, seine Kollegin Rotkäppchen auf Gleis 5 erstrahlt, wenn sie die Frage beantwortet, ob sie sich auf die neue Halle freut. „Na, klar doch“. Dann schaut sie dir sehr tief in die Augen und stellt etwas pikiert die Gegenfrage: „Sie etwa nich?“