Links an der Wand, von Spots bestrahlt, in einer flachen Vitrine ist das Gehirn zu sehen. Präpariert und in Scheiben geschnitten, damit man die einzelnen Teile besser erkennen kann. Das Gehirn stammt von einem echten Menschen. Aber das ist für die zehn Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren jetzt gar kein Thema. Sie hören gespannt einem jungen Mann im weißen Arztkittel zu. Daniel Wobetzky, 24 Jahre alt, Medizinstudent im zehnten Semester. An diesem Samstagvormittag zieht er mit den Kindern durchs umstrittene „Menschen Museum“ (MeMu) unterm Fernsehturm. Er sagt: „Ich will sie für ihren Körper begeistern.“ Gerade erklärt er die zwei Hirnhälften. „Die rechte ist fürs Kreative, für Musik, Farben und so zuständig, die linke für Sprache, Probleme.“ Meldet sich Anton (11): „Oh ja, für Mathe. Davon brauch’ ich mehr!“
Anton nimmt am Anatomieworkshop „Junior-Doktor“ für Kinder teil. Als die Oma ihn anmeldete, dachte er erst: „Ach nee, noch so ’ne Biostunde“. Aber jetzt ist er voll dabei.
20 präparierte Leichen und 200 Organe werden gezeigt
Voyeurismus oder tiefer Einblick in faszinierende Körperfunktionen?
Zu Lebzeiten haben sich Menschen laut Museum dazu bereit erklärt, nach ihrem Tod derart ausgestellt zu werden. Seit von Hagens auf diese Idee kam – erst in der Wanderschau „Körperwelten“ und nun im Berliner Museum – ringen Gegner und Befürworter leidenschaftlich miteinander. Die einen sprechen von Voyeurismus und Würdelosigkeit, das Museum will dagegen „Einblicke in die höchst komplexen, beeindruckenden Körperstrukturen geben“ und so das Bewusstsein stärken „für die persönliche Aufgabe, den eigenen schützenswerten Körper gesund zu halten“. Von echten Präparaten gehe eine viel größere Faszination aus als von Kunststoffmodellen.
Weiß Joline, Sechstklässlerin aus Hönow, dass sie hier, im Halbdunkel des Museums, von präparierten Leichen umgeben ist? Manche wirken ja auf den ersten Blick wie Zombies, mit ihren freigelegten Skeletten, Organen und Nervenbündeln. Oder wenn sie ohne Haut posieren als Muskelfrau und Muskelmann. Klar, das hat Joline gelesen. Aber die Elfjährige sagt: „Ist doch okay, so lernt man’s am besten.“ Sie will „den Menschen von innen kennen lernen“. Den Workshop hat sie sich zum Zeugnis gewünscht.
„Junior-Doktor in Ausbildung“ steht auf den Schildern
Um zehn Uhr früh geht die Medizinstunde los. Wie im Minihörsaal sitzen die Kinder vor einer Tafel mit dem Bild eines Menschen, dessen Oberkörper weiß abgedeckt ist. Eltern oder Großeltern drängeln sich an der Seite, ein Erwachsener muss jedes Kind begleiten. Lehrer Daniel Wobetzky hängt den Teilnehmern Schilder um den Hals: „Junior-Doktor in Ausbildung“. Weiße Kittel und Stethoskope haben schon alle bekommen. Nun hält er auf Karton gemalte und ausgeschnittene Organe hoch. Wo gehören die hin? Gemeinsam kleben die Kinder Herz und Magen, Lunge und Darm an ihre Plätze. Das Herz steht Kopf, pumpt in die falsche Richtung. Macht nichts. Celine (8) dreht es schnell herum.
„Grusel!“ – „Nöö“, sagt Jakob
Umso gespannter sind die Mädchen und Jungen aber bei allem dabei, was ihnen Daniel Wobetzky zeigt und erzählt. Da steht er nun vor dem kompletten Verdauungsapparat in einer Vitrine. Das Exponat sieht aus wie eine grau-weiße Schlange mit dunklen Zotteln. „Wie lange sind Dünn- und Dickdarm zusammen?“, fragt Wobetzky. „Unglaubliche acht Meter.“ Am Skelett macht er vor, „wie wir ohne Knochen zusammensacken würden“. Erzählt, was die Knochen alles zur Blutbildung brauchen und wo unser kleinstes Knöchlein sitzt – der Steigbügelhalter im Gehör. Die Kinder blicken in Herzkammern, hören mit dem Stethoskop ihre Herztöne ab – bubumm, bubumm –, suchen den größten Muskel des Menschen. „Aha, der verläuft hier vom Po zum Oberschenkel.“ Und dann, ein paar Meter weiter, sind sie plötzlich ganz still. Sie stehen vor der Raucherlunge. Zwei große, geschwärzte Lappen. Daneben eine Tasse voller Teerstückchen. „Wer ein Jahr lang täglich eine Schachtel raucht, bringt so viel Teer in die Lunge“, steht auf einem Schild. Daniel Wobetzky preist das Atemorgan zugleich als Wunder an: „Würde man alle Lungenbläschen auffalten, die Sauerstoff aufnehmen, wäre Eure Lunge so groß wie ein Tennisplatz.“
„Hab’ ’ne Menge gelernt“, brummelt ein Großvater, „nicht nur die Kinder.“ Anfangs sei er mit gemischten Gefühlen hingegangen, „aber man gewöhnt sich dran, dass es Tote sind“. Irgendwie nehme man diese authentische Ausstellung ernster, als wenn es perfekt nachgebildete Plastikmodelle wären. schiebt er nach. Die Texte zu den Exponaten seien ja „respektvoll und sehr einfühlsam verfasst“. Bisher habe es noch niemand geschafft, ihn derart „intensiv wie hier im Museum für seinen Körper zu sensibilisieren“.
Mehr Infos: Anatomie-Workshops für Kinder gibt es wieder am 6. und 26. März, jeweils ab 10.30 Uhr. Weitere Termine auf Anfrage unter: memu@MeMu.berlin.de. Kosten: 30 Euro pro Kind.
Öffnungszeiten des Museums: täglich 10-19 Uhr, im Internet: www.memu.berlin/ausstellung/menschen-museum/