Wenn es heute im Admiralspalast leicht nach Fisch riecht, dann hatten es die Imperial Ice Stars wahrscheinlich eilig. Bis zu 34 Stunden dauert es normalerweise, die Theaterbühne in eine Eisfläche zu verwandeln. „Wenn es schnell gehen muss, dann schummeln wir manchmal mit Crushed Ice“, sagt Tony Mercer, künstlerischer Leiter des Eislauf-Ensembles, und fügt grinsend hinzu: „Drei bis vier Tonnen davon gibt es nur auf dem Fischmarkt.“ Das riecht man dann im Zuschauerraum.
Aber keine Sorge, diesmal ging alles glatt. Und so wird es höchstens nach Zimt und Mandarinen riechen, wenn die Eistänzer aus Moskau am heutigen Dienstag auf die Bühne kommen. Schicht für Schicht wurden 15 Kilometer Kühlrohre alle 15 Minuten in Handarbeit mit Wasser benetzt. Seit Montag früh um 7 Uhr sind damit 17 Menschen beschäftigt, um zur ersten Vorstellung alles fertig zu bekommen. Für zehn Tage verwandeln die Imperial Ice Stars den Admiralspalast so in eine Märchenwelt: Tschaikowskis Weihnachtsklassiker „Der Nussknacker“ – auf Schlittschuhen.
In Moskau trainierten sie auf einem Tennisplatz – zu wenige Eisflächen
Die Imperial Ice Stars führte diese Eislaufverrücktheit zunächst auf einen Tennisplatz in Podolsk, eine Kleinstadt 40 Kilometer südlich von Moskau. Während sie hier an einem eisigen Novemberabend auf beiden Seiten des Netzes schon mal die Choreografie durchgehen, läuft nebenan auf dem Eis noch das Training des Hockeyteams. Rund 90 Eisbahnen gibt es in Moskau und Umgebung, alle sind ständig ausgebucht. Einzig freie Eiszeit: ab 23 Uhr. Also Nachtschichten für die Künstler, sieben Wochen lang, sechs Tage die Woche.
Der Tennisplatz gibt den 24 Tänzern – vor allem Eisläufer, aber auch Akrobaten und eine Turnerin – schon mal ein Gefühl für die Bühne im Admiralspalast: 10,97 Meter ist so ein Platz breit, elf Mal elf Meter hat die Bühne an der Friedrichstraße. Vor allem bei den Gruppenfiguren wird das schnell eng. Kein Ausgleiten darf zu lang, keine Drehung zu weit sein – sonst liegt einer im Zuschauerraum.
Tony Mercer saß in der letzten Reihe und fror – das muss besser gehen, dachte er
Tony Mercer steht in einer schwarzen Daunenjacke an der Seitenauslinie und beobachtet das wilde Hoppeln ohne Schlittschuhe, das zwei Wochen vor Beginn der Berlin Show noch recht chaotisch anmutet. „Keine Sorge“, sagt er grinsend, „nächste Woche sitzt das alles perfekt.“ Mercer ist seit 20 Jahren im Geschäft, hat „Schwanensee“ aufs Eis gebracht, „Dornröschen“ und „Aschenputtel“. Die Idee mit der Eisbahn im Theater kam ihm, als er Ende der 80er Jahre die Abschiedsshow irgendeines Eiskunstlaufstars sah. „Ich saß in der letzten Reihe in einer riesigen Halle, mir war kalt und ich habe eigentlich nichts gesehen“, sagt er.
Viele suchen eine Beschäftigung nach dem Karriereende
Der Brite lebt seit 17 Jahren in Moskau, ist mit Maria Orlova verheiratet, ehemalige russische Eiskunstlauf-Meisterin und heute Künstlerische Leiterin der Imperial Ice Stars. Viele der Ensemblemitglieder waren wie sie in der Jugend hoffnungsvolle Talente, bei denen es für die Weltspitze nicht ganz gereicht hat. Oder sie suchen nach dem Karriereende eine Beschäftigung, wie die Deutsche Mandy Wötzel, die mit ihrem Partner Ingo Steuer 1998 Bronze bei Olympia gewann und dann eine Zeitlang in Mercers „Dornröschen on Ice“ mitmachte. Zusammen haben die Künstler 250 internationale Medaillen gewonnen. Maria Vygalova beispielsweise spielt die Hauptfigur Marie, die ein geheimnisvolles Paket bekommt, in dem sich der verzauberte Nussknacker befindet. Vygalova ist 16 Jahre alt und eigentlich im Nationalkader, doch Mercer konnte sie für ein paar Wochen ausleihen.
Er selbst hat nach eigener Aussage nur ein einziges Mal auf Schlittschuhen gestanden, 15 Jahre alt war er da. „Ich bin hingefallen und eine Kufe fuhr nur Millimeter an meiner Hand vorbei“, erzählt er. „Da dachte ich: Ich mag meine Finger! Und bin nie wieder aufs Eis.“
Es ist kurz nach Mitternacht, mit Kufenschonern hat die Probenleiterin nun das Eis auf die Größe der Bühne abgesteckt. Auf einem kleinen Podest steht trotz dicker Weste und Mütze frierend der Nussknacker, Turnerin Alena Zmeu, die einzige ohne Schlittschuhe. „Das gibt uns die Freiheit für ganz neue Figuren“, sagt Mercer. Wie eine Puppe wird Zmeu herumgewirbelt, aufgefangen, hin- und hergebogen, mehrfach liegt sie fast auf dem Eis. „Eiskunstlauf ist ein einziges Regelbuch“, sagt Mercer. Er hat es gern kreativer, ist immer auf der Suche nach neuen Drehungen, Hebeelementen und Sprüngen. „Es hilft, dass ich selbst nicht Eislaufen kann“, sagt er. „Wenn die Künstler sagen: Das geht nicht, sage ich: Lasst es uns versuchen.“
Zum Finale geht es in die Royal Albert Hall
Der „Nussknacker“, das geht schließlich nur zu Weihnachten. „Die Partitur ruft in mir ein Gefühl von kindlichem Weihnachtszauber hervor“, sagt Mercer. Und extra für Kinder beginnen die Vorstellungen mittwochs und donnerstags schon um 18 Uhr. Garantiert ohne Fischgeruch.
Die Show läuft vom 1. bis zum 12. 12. im Admiralspalast, Weitere Infos gibt es hier.
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