Vor ein paar Tagen besuchte ich den Berliner Bezirk, in dem ich meine Kindheit verbracht habe. Doch nicht, um durch die vertrauten Straßen zu laufen, wie ich es in größeren Abständen immer wieder einmal mache. Mein Ziel war das ehemalige Wilmersdorfer Rathaus am Fehrbelliner Platz. Kaum 200 Meter davon entfernt hatte ich 20 Jahre lang gelebt und bin dort zur Schule gegangen.
Was ich sah waren freiwillige Helfer, die gespendete Kleidungsstücke oder Kinderspielzeug sortierten und aus Kartons und Plastiktüten in Regale räumten, sichtlich gestresst, vielleicht sogar überfordert im scheinbaren Chaos, dennoch konzentriert und – besonders bemerkenswert – freundlich zu Jedermann, der Fragen hatte, so wie ich. Ziellos die Flüchtlinge auf dem Hof, zur Passivität verurteilt und isoliert in der Unkenntnis einer ihnen fremden Sprache. Dazwischen die Kinder. Ein vielleicht Dreijähriger auf einem gespendeten Bobbycar, beneidet von anderen Kindern, die auch gerne ein solches Fahrzeug besäßen. Verlorene Blicke der Erwachsenen überall.
Ein deutsches Flüchtlingsschicksal
Draußen, auf dem Hohenzollerndamm, fast genau an gleicher Stelle, hatte ich schon einmal gestanden, vor fast 70 Jahren, als ein Flüchtlingskind. Nach wochenlangen Irrwegen von Niederschlesien zu Fuß und auf Güterzügen hatte die junge Witwe endlich Berlin erreicht, um hier nach einem Neuanfang zu suchen. Ihr zweijähriges Kind und ihre ganze Habe passten in einen Kinderwagen, den sie hunderte von Kilometern vor sich hergeschoben hatte. Unterwegs hatte sie an die Türen der Bauernhäuser geklopft, um etwas Brot und Milch für ihr Kind zu erbitten und oft genug war sie abgewiesen worden. Hatten diejenigen, die ihr die Hilfe verweigerten, geahnt, dass sie ihr Haus samt Vorräten kurz darauf ebenfalls würden Hals über Kopf verlassen müssen?
Die heutigen Flüchtlinge kommen von noch viel weiter her, haben oft monatelange, sogar jahrelange Odysseen hinter sich. Sie haben es aufgegeben, an fremden Türen um Hilfe zu bitten und waren auf skupellose Schlepper angewiesen, die sie um ihre Ersparnisse gebracht haben. Wer wäre ich, würde ich den heutigen Flüchtlingen meine Hilfe und meine Empathie verweigern? Gibt es in Deutschland nicht hunderttausende, ja millionen von Flüchtlingsbiografien? In fast jeder deutschen Familie werden Flucht- und Vertreibungseschichten weitererzählt. Warum gibt es dennoch so viel Ablehnung in unserem Land gegen jene, die hier Schutz suchen? Und können wir uns so sicher sein, nicht irgendwann einmal ebenfalls auf die Hilfe Anderer angewiesen zu sein? Dies sind die Fragen, die uns die Flüchtlinge stellen und die wir uns selbst stellen sollten.
Lehren aus der deutschen Geschichte
Nach dem Krieg haben 13 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten ihre Heimat verlassen müssen und wurden von dem geteilten Rest-Deutschland, Ost und West, aufgenommen. Das zu einer Zeit des Hungers, der Zerstörung und der Mangelwirtschaft. In den darauf folgenden Jahren verließen Millionen Flüchtlinge die DDR in Richtung Westdeutschland, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sollen laut einer Zeitungsmeldung weitere drei Millionen Russlanddeutsche (fast unbemerkt) in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt seien. Seit den 1960er Jahren luden die beiden Deutschlands Gastarbeiter zu sich ein aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei oder Vietnam. Menschen, die zu Millionen blieben und heute Teil unserer Gesellschaft sind. Zweifellos haben sie alle unsere Gesellschaft verändert, doch zu ihrem Schaden sicherlich nicht.
Die Forderung an die anderen Länder der EU, es uns gleich zu tun, sind gut – doch eigenes Handeln ist besser. Der Sommer geht zu Ende und die Nächte in den Zelten werden kälter. Meine Bewunderung gilt den freiwilligen Helfern der Flüchtlingsinitiativen wie „Willkommen in Wilmersdorf“ und denen in vielen anderen Orten.
Geldspenden nehmen die verschiedenen Hilfsorganisationen als Betreiber der Unterkünfte entgegen. Die Kontonummern werden regelmäßig in den Fernsehnachrichten eingeblendet und den Zeitungen veröffentlicht. Für Sachspenden informieren Sie sich bitte vorher auf den Bedarfslisten im Internet. Nicht alles ist geeignet.
Dieser Text wurde uns zur Verfügung gestellt vom Blog Berlin ab 50, einem Portal für die Generation der Best Ager – und alle anderen interessierten Leser und Schreiber.