Der 1962 fertiggestellte Versuchsbau der Plattenserie P2 in der Erich-Kuttner-Straße in Lichtenberg / Fennpfuhl zwischen Storkower Straße und Landsberger Allee steht seit 1984 unter Denkmalschutz. Planung und Entwurf des Versuchsbaus erfolgten durch ein Entwicklerkollektiv der „Deutschen Bauakademie“ in Ost-Berlin unter Leitung von Wilfried Stallknecht (geb. 1928) und seinen Kollegen Achim Felz und Herbert Kuschy.
Der Versuchsbau weist vier verschiedene Grundrisse auf, die Wohnungen sind um ein innenliegendes Treppenhaus angelegt. Dort sind auch (innenliegend) Küche und Bad angeordnet, so dass ein gemeinsamer Versorgungsschacht genutzt und Platz gespart werden konnte. Die Badzellen wurden am Stück in den Rohbau eingesetzt. Pro Geschoss gibt es zwei Wohnungen. Zwischen Küche und Wohnzimmer wurde eine Durchreiche konzipiert, mit der die „in der Küche wirkende Frau“ nicht vom Rest der Familie isoliert werden sollte.
Variables Wohnen
Der Versuchsbau diente nicht nur der Erprobung und Vorführung einer neuen Bauweise, sondern war auch mit 16 von verschiedenen Innenarchitekten ausgestatteten Wohnungen versehen. Das Konzept des „Variablen Wohnens“, das Stallknecht gemeinsam mit Designern von der Hochschule Burg Giebichenstein entwickelte, stand als Idee dahinter. Mit einem breiten Möbelsystem in Modulform sollte jeder Wohnungsinhaber seine eigenen Vorstellungen umsetzen können. Der Versuchsbau fand reges Interesse bei den Berlinern- 30.000 informierten sich in der Folge über die Wohnungseinrichtungen.
Der P2- Versuchsbau im Fennpfuhl ist ein wichtiger historischer Erinnerungsort für die Vision eines „anderen“ vielfältigen und individualistischen Wohnens in der DDR, die aber niemals realisiert wurde. Die Ideen scheiterten sowohl an den ökonomischen Möglichkeiten der DDR als auch an ideologisch-planerischen Vorgaben der Partei- und Staatsführung. Die P2-Serie wurde in der Folge in kostensparender vereinfachter Form gebaut.
Mit den Gebäuden der Plattenbauserie P2 und der zehn Jahre später nachfolgenden Serie WBS 70 sollten die Bewohner der DDR endlich die auf SED-Parteitagen versprochenen modernen Wohnungen bekommen. Gleichzeitig sollte den Bewohnern von Plattenbauten eines sozialistischen Wohnkomplexes über die Funktionalisierung des Alltags und des sozialen Lebens eine „sozialistische Lebensweise§ im Sinne der SED nahegebracht werden. Durch die ideologisch motivierte systematische Vernachlässigung des Altbaubestands in den historischen Innenstädten der DDR wurde durch Abriss die Voraussetzung geschaffen, auch dort die neue „sozialistische Stadt“ zu errichten.
Von der Utopie zur Monotonie
Waren die Oberflächen der in den 60er Jahren errichteten Plattenbauten noch mit Kacheln oder Dekor versehen, die die Strukturen traditioneller Fassaden imitierten, so wurden sie aus Kostenersparnis später immer eintöniger. Nur durch Balkons oder Loggien aufgelockert, waren die Plattenbauten mit Flachdach uniform und glichen in ihrem monotonen Aufbau einem Quader. Im 1974 erschienenen Roman Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“ findet diese Entwicklung ihren kritischen Widerhall. Mitte der achtziger Jahre wandelte sich das und im Bedürfnis nach Dekor wurden die Platten wieder mit Schmuckelementen und kleinteiligen Verzierungen versehen. In Hellersdorf (Hellersdorfer Straße 179) hat die Wohngesellschaft Stadt und Land eine typische Dreiraum-Wohnung der Serie WBS 70 aus dem Jahre 1986 im Stil der Zeit möbliert. Das kleine Museum ist immer sonntags von 14 bis 16 Uhr geöffnet.
Durch die staatlich geförderten Aufwertungsmaßnahmen nach 1990 haben die Großsiedlungen im ehemaligen Ost- Berlin an Attraktivität gewonnen und zumal in Zeiten der Wohnungsknappheit sind sie wieder bei Berlinern und Neu-Berlinern außerordentlich beliebt, was der geringe Leerstand beweist.
Wie Architektur und Städtebau in der Vision einer „Modernen Stadt“ aus den sechziger Jahren in Ost- und West-Berlin bis heute das Stadtbild prägen, zeigt auch die Ausstellung „Radikal Modern – Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre“ in der Berlinischen Galerie (noch bis 26.10.2015).
Dieser Text wurde uns zur Verfügung gestellt vom Blog Berlin ab 50, einem Portal für die Generation der Best Ager – und alle anderen interessierten Leser und Schreiber.