Es gibt offenbar zwei ganz verschiedene Sichtweisen auf den Charlottenburger Ernst-Reuter-Platz: Auf den Gehwegen rund um den Kreisverkehr äußern sich fast alle Passanten negativ über den Platz, der den Namen des 1953 verstorbenen Regierenden Bürgermeisters trägt. Ganz anders reagieren Besucher auf der Mittelinsel, die man nur durch einen Ausgangstunnel des U-Bahnhofs erreicht: „Da gibt es regelrechte Fans“, hat der Architekt Sören Hühnlein bei Befragungen festgestellt. Er gehört zu den Gründern des Aktionsbündnisses Ernst-Reuter-Platz das sich seit 2008 für dessen Aufwertung einsetzt.
Die Mittelinsel spiele eine Schlüsselrolle bei der „Revitalisierung“, sie sei ein „von vielen unentdecktes Juwel“, findet Hühnlein. Besucher seien oft überrascht, wie groß die Anlage ist – und wie ruhig. Speziell im Sommer werde der Autolärm weitgehend vom Rauschen der hohen Wasserfontänen übertönt. Aber auch insgesamt habe der Platz „weit mehr Potenzial, als ihm gemeinhin zugetraut wird“.
Ein Image- und Wahrnehmungsproblem
Darum sollte es am Mittwoch bei einem Informationsabend im Orange Lab am Ernst-Reuter-Platz gehen, zu dem das Regionalmanagement City West eingeladen hatte. Kurz vor der Veranstaltung erläuterte Hühnlein, das denkmalgeschützte Ensemble aus 50er-Jahre-Bauten solle nach Meinung des Aktionsbündnisses im Wesentlichen unverändert bleiben. „Das Problem des Platzes ist überwiegend kein bauliches Problem, sondern ein Image- und Wahrnehmungsproblem.“ Man wolle die reizvollen Seiten stärker zur Geltung bringen.
Damit wurde bereits begonnen. Anlässlich des Berlin-Marathons lud das Bündnis zum Beispiel in eine „Loge“ auf der Mittelinsel ein, wo Gäste es sich auf Riesen-Kissen gemütlich machen konnten. Zugleich stellte die Initiative dabei ihre Tätigkeit vor. Bei anderer Gelegenheit wurden auch schon mal große Luftmatratzen in den Brunnenbecken zu Wasser gelassen.
Für die Zukunft schlagen Hühnlein und seine Mitstreiter vor, die „Bespielung des öffentlichen Raumes“ noch auszuweiten. Außerdem müsse die Mittelinsel besser erreichbar werden.
Dafür gibt es tatsächlich schon Pläne, wie Sprecherin Petra Rohland von der Stadtentwicklungsverwaltung bestätigte. Angedacht ist eine Fußgängerampel, die vom Mittelstreifen der Hardenbergstraße zur Platzmitte führen könnte. Die Überlegungen stehen im Zusammenhang mit einer Sanierung des U-Bahnhofs und der Tunnel. Laut Dirk Spender, Leiter des Regionalmanagements, wollen die Verkehrsbetriebe damit 2016 beginnen. Die BVG erwäge, den Tunnel zur Mittelinsel zu schließen, plane aber neue Aufzugstürme für den behinderten Zugang zum Bahnhof, darunten einer auf dem Mittelstreifen der Hardenbergstraße. Also biete sich diese Stelle für eine überirdische Verbindung zur Mittelinsel an.
Auch bei den Fahrradwegen sind sich Regionalmanager Spender und die Senatsplaner einig: Künftig soll es zwei nebeneinander geben, damit Radfahrer den Platz in beiden Richtungen umrunden können. Denkbar sei dabei auch eine Lösung wie am Großen Stern in Tiergarten, wo ein extrabreiter Radweg mit Richtungspfeilen und trennenden Linien in der Mitte markiert ist. Einen Zeitplan hat die Stadtentwicklungsverwaltung allerdings bisher weder für den Fußgänger-Übergang noch für den Ausbau der Fahrradwege. Denn „zurzeit stehen keine finanziellen Mittel aus dem Landeshaushalt zur Verfügung“, sagte die Sprecherin.
Ruhepausen im Kreisverkehr
Zuletzt war bei einem Workshop 2011 über den Platz diskutiert worden; anders als diesmal nahm damals der ehemalige Daimler-Konzernchef Edzard Reuter als Sohn des Namensgebers teil und beklagte den „Niedergang des Platzes“. Am Mittwoch stellten nun auch Forscher der Universität der Künste (UdK) neue Ideen „gegen Eintönigkeit und Monotonie“ vor.
Der beteiligte UdK-Wissenschaftler Alex Arteaga ist jedoch kein typischer Architekt oder Stadtplaner, sondern Mitbegründer des Fachbereichs „Auditive Architektur“. Dabei geht es um den Klang von Orten und dessen Wahrnehmung. Arteaga will die vom Verkehr geprägte „Klangsuppe“ bekämpfen. Er plädiert für neuartige Ampelschaltungen, die im ganzen Kreisverkehr zu „Ruhepausen“ führen würden.
Außerdem schlägt der Forscher einen doppelwandigen Glaspavillon auf der Mittelinsel vor. Dieses schallisolierte „temporäre Observatorium“ wäre kein Turm, sondern eine rechteckige Aussichtsplattform auf einem 1,35 Meter hohen Podest. Am Besucherinteresse werde es nicht mangeln, glaubt Arteaga. Auch er hält den Platz bisher einfach für unterschätzt.