Kazim Erdogan wirkt eher klein und schmächtig. Doch wenn man ihm zuhört, merkt man, wie sehr der 59-jährige Familienvater vor Energie, Ideen und Engagement strotzt. Eigentlich wohnt Erdogan, dessen Name „tapfer, mutig und beherzt“ bedeutet, in einem Einfamilienhaus mit Garten in Rudow. Einen wesentlich größeren Teil seiner Zeit verbringt er aber in Rixdorf – einen Kiez, den er sehr schätzt und von dem er voller Begeisterung spricht. Fast seine ganze Kraft und Zeit investiert er hier, in die Jugendlichen, die zu ihm in die Beratungsstelle des Bezirksamts Neukölln in die Böhmische Straße 39 kommen, in die Leute, die sich hilfesuchend an seinen Verein Aufbruch Neukölln wenden und in die Nachbarn, die er auf der Straße trifft.
Richardplatz, der beste Ort in ganz Neukölln
„Der Richardplatz ist der beste Ort in ganz Neukölln. Hier leben und wohnen wunderbare Menschen. Aber auch sonst gefällt mir Neukölln sehr gut. Der Körnerpark ist zum Beispiel auch sehr schön“, sagt Erdogan mit leuchtenden Augen. „Es sind die Vielfalt, die unterschiedlichen Kulturen und das Essen aus den vielen verschiedenen Ländern der Welt, die den Rixdorfer Kiez ausmachen.“
Bei der Frage, wo man im Kiez unbedingt gewesen sein sollte, kann sich Erdogan, der von den türkischen Männern der Vätergruppe, die er für seinen Verein leitet, auch „großer Bruder“ genannt wird, nicht festlegen. Er meint vielmehr, dass man „überall“ hin müsse: „Am besten, man nimmt sich zwei Tage frei und schaut sich alle Ecken des Kiezes an. Es ist lohnenswert, sich die Zeit zu nehmen und auf den Bänken des Richardplatzes zu sitzen, um von dort die Umgebung zu beobachten und die Ruhe zu genießen.“
„Gutes Essen bekommt man im Restaurant Shaan am Richardplatz. Ich gehe auch gern in das Café Hofperle an der Karl-Marx-Straße. Aber das berühmteste und beste Restaurant der Welt ist immer noch meine Frau“, sagt Erdogan schmunzelnd. Ob sein Lieblingsgericht Kuttelsuppe, Spätzle mit Gulasch oder Currywurst, der Psychologe liebt das abwechslungsreiche und vielfältige Essen in Berlin.
Gemeinsamkeiten statt Unterschiede
Er sei Neuköllner durch und durch, sagt Erdogan, dem das Dasein und die Zukunft des Rixdorfer Kiezes und des ganzen Stadtteils sichtbar am Herzen liegen. „Die Menschen hier müssen mehr zu einander finden, besser kommunizieren, mehr Solidarität unter den Nachbarn zeigen und sich einfach für einander interessieren. Ich finde es wichtig, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen, nicht die Unterschiede. Dann gibt es so viele gemeinsame kulturelle Schätze zu entdecken“, so Erdogan.
Gastfreundschaft, Menschlichkeit und Solidarität habe er aus seinem Land mitgebracht, erzählt Erdogan. Das kann jeder, der in sein Büro in dem ehemaligen Kindergarten in die Böhmische Straße kommt, bestätigen. Die hellen Räumlichkeiten wirken so schon freundlich, aber Erdogan verstärkt den Eindruck, sich willkommen zu fühlen, noch mit dem Angebot von türkischem Tee und Pralinen. Er ist ein Kind zweier Kulturen, denn neben seinen türkischen Wurzeln schätzt Erdogan auch hiesige Tugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung und Terminplanung.
„Ich habe alles Positive der beiden Kulturen übernommen. Das, was die Menschen voneinander trennt, davon verabschiede ich mich. So ist über die Jahre ein neues Ich entstanden“, sagt Erdogan, der mit seiner Familie immer noch regelmäßig in die Türkei fliegt, wo sie sich ein kleines Häuschen in der Nähe von Izmir gekauft hat. Obwohl er den Heimaturlaub genießt, zieht es ihn spätestens nach zehn Tagen wieder nach Berlin: „Das ist die schönste Stadt für mich, ich habe mich regelrecht in Berlin verliebt und bekomme die größte Sehnsucht, wenn ich einmal länger weg bin.“
Lesen Sie nächste Woche in unserer Reihe „Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez“: Tanja Bülter
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