Karl-Marx-Straße - Gegen kurz nach fünf strömen im Fünfminutentakt die Menschenmassen aus dem U-Bahnhof. Der Feierabendverkehr hat eingesetzt. Aber eigentlich ist das egal. Hier ist es IMMER voll und wuselig. An der Ampel heißt es warten, der Blick fällt auf den direkt gegenüberliegenden Spätkauf - für ein schnelles Feierabendbier auf die Hand, auch als "Fußpilz" bekannt, genau richtig.
Drinnen im Laden erwartet einen erstmal nix Weltbewegendes: Ein grundsolider Späti mit angeschlossenem Internetcafé, 24 Stunden geöffnet für Laufkundschaft und Stammkunden. Eigentlich auch sonntags, doch letztens gab´s Ärger mit den Behörden. Das Ladenschlussgesetzt erlaubt es nur Tankstellen, ohne Sondergenehmigung am Ruhetag zu öffnen. Eine Zapfsäule sucht man hier vergebens, deshalb ist nun also dicht am Sonntag.
Kadir Anlayisli arbeitet seit neun Jahren hier, 1980 kam er mit seinen Eltern nach Berlin und ist geblieben. Er ärgert sich über den vorgeschobenen Gesetzesriegel, denn der Sonntag sei der umsatzstärkste Tag gewesen. Logisch. Aber auch an anderen Tagen ist gut was los hier. Beim Karneval der Kulturen, der einmal im Jahr ein paar Kilometer weiter nordwestlich tobt, steige der Umsatz dann noch einmal merklich. Schwer zu schätzen, wie viele Leute hier täglich reinkommen, Anlayisli nimmt irgendwas zwischen zwei- und dreihundert an. Könnte hinkommen. Allein in den letzten fünf Minuten hat er viermal kassiert. Gefragt sind vor allem die Top-Seller: Zigaretten und Telefonkarten.
Dem Verbrechen in die Augen geschaut
Im Kiez kennt man den Spätkauf und seinen Verkäufer. Im Sommer 2012 schaute kurzzeitig die ganze Welt auf ihn: In Schlaufuchsmanier hat Kadir Anlayisli dafür gesorgt, das ein international gesuchter Mörder hier festgenommen werden konnte. Aber von vorn: Der obskur-absurde Fall des Kanadiers Luka Rocco Magnotta ging 2012 durch die Presse, der ehemalige Pornodarsteller soll gemordet und sein Opfer dann in Teilen gegessen und sich dabei auf Video aufgenommen haben. Es folgte eine Flucht nach Europa.
Fahndungsbilder tickerten damals durch die Medien und Portale. Anlayisli, der die einschlägigen Gazetten kennt und viel im Netz unterwegs ist, staunte nicht schlecht, als der gesuchte Mann plötzlich vor ihm stand. Erkannt hat er ihn direkt, auch wenn er es erst nicht glauben konnte. Der Verkäufer wies Magnotta, der im Netz surfen wollte, also den Sitzplatz 25 zu, um ihn im Blick behalten zu können. Als der Gesuchte dann auch noch Artikel über sich selbst anklickte, war klar, das hier etwas nicht stimmte. Anlayisli benachrichtigte die Polizei, diese nahm den Verdächtigen noch vor Ort fest.
So weit, so ungewöhnlich für einen Späti. Noch heute wird der Verkäufer auf seinen Coup angesprochen, seine Geschichte erzählt er gerne. Stünde nochmal ein Mörder vor ihm, würde er genauso handeln. Wir sagen „top“ und verleihen dem Spätkauf Helin die imaginäre, dafür aber auf Hochglanz polierte Schlaufuchs-Krone.