Seit rund einem Monat hat die Torstraße, schon wieder, eine neue Gastro-Adresse: David Canisius und Heiko Martinez vom erfolgreichen Pantry haben zum zweiten Schlag ausgeholt. Wie erwartet geht es atmosphärisch ähnlich wie im Erstling schick-gediegen zu. Dazu gehören schwere Ledersessel, raumhohe Metallplatten und schwarze Glaswände, die einem ein „Hier geht’s noch endlos weiter“-Gefühl vermitteln. Da die Decke Nachtblau gestrichen ist und das Licht grundsätzlich spärlich, finde ich den Gastraum im ersten Moment ganz schön dunkel. Wenn man dann mal sitzt, wirkt es gemütlich. Erstaunlich voll ist es, dafür dass das Restaurant noch so neu ist. Und kaum typisches Torstraßenpublikum: eher etwas älter und deutlich gediegener, womöglich auch kaufkräftiger.
Klassisch deutsche Küche ganz ohne Langeweile
Canisius, im zweiten Leben übrigens Bandleader des The Capital Dance Orchestra, begrüßt seine Gäste selbst und erklärt kurz das Konzept: „Typisch deutsches Essen bedeutet ja oft: Hauptsache viel auf dem Teller. Wir wollen eine modernere und auch leichtere Alternative bieten. Deshalb gibt es hier die Gerichte unserer Kindheit in kleinen Portionen zum Durchprobieren.“ Dementsprechend wird auf der Karte nicht nach Vor- oder Hauptspeisen unterschieden. Es gibt zwei Suppen, etliche kalte Häppchen, etliche warme Variationen, dazu Beilagen und drei Desserts zur Auswahl. Wie viel nimmt man da jetzt bloß? Wir sind erstmal kurz überfordert. Der Chef empfiehlt uns fünf Gerichte pro Person zu bestellen, na dann mal los.
Aus der kalten Küche lacht uns der Matjes in Hausfrauensosse an, weil’s tatsächlich schön an die Mama erinnert. Warm kommen Kräuter-Maultäschchen, Fischstäbchen, in Buttermilch eingelegtes Knusperhuhn und Königsberger Klopse auf den Tisch. Dazu lassen wir uns Kartoffelbrei, Schmorgurken und Kartoffelsalat reichen. Wow, der Tisch ist voll mit lauter hübschen Schälchen, die mich an meinen Marrakesch-Urlaub erinnern. Die Portionen (ab 2,50 bis 6,50 Euro) sind aber tatsächlich übersichtlich. An der Stelle hätte ich gern meinen Favoriten verraten, aber ich kann mich nicht entscheiden: Das schmeckte alles so lecker, wirklich ganz unprätentiös und bodenständig gut, wie es sich eben für deutsche Hausmannskost gehört. Ohne den kleinen netten Twist zu vergessen, der in der modernen Küche nicht fehlen darf, wie Pastinaken-Chips auf dem cremigen Kartoffelbrei oder dem Brunnenkresse-Joghurt zum Hühnchen. Die Fischstäbchen waren dank Lachsinnerem und Zitronenschmand schon ziemlich hitverdächtig, auch die Klopse schmeckten schön kapernlastig erste Sahne. Leider haben wir auf unser Essen sehr lange warten müssen, aber das schieben wir jetzt mal dem Noch-Neu-Status zu. Beim nächsten Mal müssen wir unbedingt noch die Rouladen probieren und den Sauerbraten – für alle Probier-Fans ist dieses Konzept jedenfalls wie geschaffen!
Die Desserts (passt nicht mehr obendrauf, wir sind eigentlich schon satt) wie Blomeyer Käse, Rote Grütze oder Schwarzwälder Kirsch machten uns alle drei nicht an. Aber die nette Bedienung hat uns die Grütze quasi aufgeschwatzt, so lecker sei die, auch für alle Nicht-Grütze-Fans… Okay, der Punkt ging an sie: Diesen selbst gemachten Beerenmus an herrlichem Vanilleschaum solltest du dir wirkich als Abgang gönnen!