Homosexualitäten-Ausstellung in Berlin

"Zu Korrekturzwecken vergewaltigt"

Bei einer Pfingstdemonstration gingen 1973 in Berlin hunderte Homosexuelle auf die Straße, um sich für die gleichgeschlechtliche Liebe einzusetzen.
Bei einer Pfingstdemonstration gingen 1973 in Berlin hunderte Homosexuelle auf die Straße, um sich für die gleichgeschlechtliche Liebe einzusetzen.
Unter den Linden - Homosexuelle Menschen dürfen sich nun in allen US-Bundesstaaten offiziell das Ja-Wort geben. Eine Nachricht, die zurecht für Aufsehen gesorgt hat. Denn diese eigentlich selbstverständliche Gleichheit zwischen Homo- und Heterosexuellen ist alles, aber nicht selbstverständlich. Das veranschaulicht auch die Ausstellung "Homosexualität_en", die aktuell in der Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums und im Schwulen Museum gezeigt wird.

„Fühle, bin und begehre ich anders?“ ist eine der ersten Fragen, die die Ausstellung „Homosexualität_en“ im Deutschen Historischen Museum an ihre Besucher stellt. Denn hierbei handelt es sich um eine Frage, die sich wohl jeder Homosexuelle schon mal gestellt hat. Und das eigentlich nur deshalb, weil die Gesellschaft, die ihn umgibt, andere Rollen- und Sexualitätsnormen vorgibt. Dass das auch schon vor einigen Jahrhunderten der Fall gewesen ist, dokumentiert die Ausstellung in Form historischer Porträts, zum Beispiel vom niederländischen Maler Hendrick Goltzius. Gleichgeschlechtliche Liebe war bereits in seinen Werken aus dem 16. Jahrhundert ein Thema. Auch Schriftsteller wie Virginia Woolf, Oscar Wilde oder Johann Wolfgang von Goethe beschäftigten sich damit und forderten zu Lebzeiten einen offenen Umgang mit Homosexualität. Ein Kampf gegen Windmühlen.

Verfolgt, verurteilt, ermordet

Bereits in der Bibel wird die gleichgeschlechtliche Sexualität von Männern als „Gräuel“ bezeichnet, das es mit dem Tod zu bestrafen gilt. Darüber hinaus galten Schwule als „Gesandte des Teufels“ oder „Geisteskranke mit unnatürlichen Lastern“. Sie wurden „zu Korrekturzwecken vergewaltigt“, im KZ vergessen, mit Kannibalen verglichen, verfolgt, verurteilt, ermordet. Alles Aussprüche und Handlungen aus längst vergangenen Zeiten? Mitnichten. Noch heute erwartet Homosexuelle im Sudan oder Irak die Todesstrafe. In insgesamt 76 Ländern ist die gleichgeschlechtliche Liebe verboten.

Die aktuelle Ausstellung legt aber auch einen Fokus auf den gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität in Deutschland. Ein Gedenkraum macht auf die Kennzeichnung „Rosa Winkel“ aufmerksam. Homosexuelle Häftlinge in Konzentrationslagern wurden hiermit „ausgestattet“. Viele von ihnen verschwanden spurlos und insgesamt bis zu 15.000 Schwule sollen hier ihr Leben gelassen haben. Lesbischen Frauen hingegen wurden von den Nationalsozialisten „lediglich“ mit dem Gefühl der Rechtlosigkeit und Verachtung gestraft.

Bis 1994 in Deutschland bestraft

Einen thematischen Schwerpunkt bildet Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs von 1872, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte – unter anderem mit bis zu fünf Jahren Gefängnis. Kaum vorstellbar, aber erst 1994 wurde der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch des wiedervereinigten Deutschlands gestrichen.

Heute haben homosexuelle Paare die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Eine echte Heirat ist weiterhin nicht möglich. Hier wirft die Ausstellung die Frage auf, was überhaupt eine Familie von heute auszeichnet und ob es eine „richtige“ Lebenspartnerschaft wirklich nur zwischen Mann und Frau geben kann. Die Schau legt nahe, wie dringend hier ein Umdenken stattfinden muss. Und wie wenig sich teilweise die Gedanken der Menschen von heute und damals unterscheiden – trotz hunderter Jahre Differenz.

Das Tabu brechen

Auch die Homosexualität im Sport wird knapp angerissen. So kämpfen noch heute viele heterosexuelle Profifußballerinnen gegen das Lesben-Image, das den Sport seit Jahren verfolgt. Ihren männlichen Kollegen hingegen wird heutzutage eher von einem Outing während der aktiven Sportlerkarriere abgeraten, da es sie sonst negativ beeinflussen könnte. Wie heikel das Thema Homosexualität im Profifußball ist, hat die Berichterstattung nach dem Coming-out von Thomas Hitzlsperger im Januar 2014 gezeigt. Es war die Topmeldung über mehrere Tage, obwohl gleichgeschlechtliche Liebe das Normalste der Welt sein sollte – auch im Profifußball.

Und selbst wenn ab sofort homosexuelle Paare in den USA offiziell heiraten dürfen: Aufgrund ihrer sexuellen Orientierung können sie weiterhin ihren Job verlieren, in Restaurants nicht bedient werden oder kein Zimmer in einem Hotel bekommen. Es gibt also noch jede Menge zu tun. Umso wichtiger, dass eine Ausstellung wie die „Sexualität_en“ die kritische Diskussion anregt und eindrucksvoll die Unmenschlichkeiten aufzeigt, die Homosexuellen bis heute widerfahren.

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ findet vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 im Deutschen Historischen Museum (DHM) und im Schwulen Museum (SM) statt. Sie gliedert sich in zwei Ausstellungsteile: Das DHM rückt den Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe in der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein in den Mittelpunkt. Das SM hingegen thematisiert die gegenwärtige Situation Homosexueller und zeigt verschiedene Perspektiven zur Geschlechteridentität auf. Das alles gelingt mithilfe von Exponaten, Medien- und Hörstationen. Der Eintritt ist bis 18 (DHM) bzw. 16 Jahren (SM) frei. Ein Tagesticket kostet 8 bzw. 7,50 Euro, ermäßigt jeweils 4 Euro.

Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin

Telefon 030 203040

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Freitag bis Mittwoch von 10:00 bis 18:00 Uhr
Donnerstag von 10:00 bis 20:00 Uhr

Deutsches Historisches Museum

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