Ich bin jeden Tag mindestens zwei Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Egal, ob Bus oder Bahn: Meist ist die gesamte Palette an Fahrzeugen (Ausnahme: Fähre) dabei. Darum kommt es in unglücklicher Regelmäßigkeit vor, dass ich Zeuge von Kurzzeit-Dramen werde – immer dann, wenn die Ticketkontrolle ansteht und Schwarzfahrer mit Kontrolleuren „ins Gespräch kommen“. Das Ergebnis des Dialogs steht hier meist im Voraus fest: 60 Euro Strafe. Doch wäre es nicht wesentlich angenehmer, wenn jeder ohne Ticketzwang sämtliche öffentliche Verkehrsmittel nutzen könnte? Die Berliner Piratenpartei stimmt dem vollkommen zu und legt in der Auswertung ihrer „Fahrscheinlos“-Studie dar, dass es realisierbar wäre. Zum Beispiel mit einem solidarischen Bürgerticket, das jeder volljährige Berliner mit 50-69 Euro pro Monat finanzieren würde.
Nie mehr Schwarzfahren?
Was wäre das für ein entspanntes Fahren, wenn man sich nicht mehr um Fahrscheine Sorgen machen müsste. Kein Ärger mehr über defekte Fahrkartenautomaten, nie mehr Warteschlangen an den Ticketschaltern. Und vor allem: Nie mehr Schwarzfahren, womit die Auseinandersetzungen zwischen Ticketlosen und Kontrolleuren ein Ende hätten. Hier könnte die BVG einerseits Personal- und andererseits Wartungskosten der Automaten einsparen und an anderer Stelle reinvestieren.
Auch der Tarif-Wirrwarr hätte ein Ende: Wo man sich befände, wäre egal. Überall könnte man ein- und aussteigen. Das wiederum könnte noch mehr Menschen für das Fahren mit den Öffis bewegen, einige Autofahrer von den Straßen verschwinden lassen und damit die Umwelt entlasten.
„Kein Modell mit Zukunft“
Andererseits stellt sich die Frage, ob die volljährigen Berliner dazu bereit wären, jeden Monat 50 bis 69 Euro als solidarischen Beitrag für die „Öffi-Flatrate“ zu zahlen. Das wären immerhin mehr als 600 Euro im Jahr, die manche für ihren eigenen Haushalt viel dringender benötigen. Außerdem: Wer sagt, dass dieser Betrag konstant bleibt und sich nicht erhöht? Wo für viele schon der Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro ein Grund ist, um an die Decke zu gehen. Und dann zum Zwecke der Allgemeinheit zusätzlich mindestens 50 Euro im Monat blechen? Man kann die „Dit jeht jarnich!“-Grummelei schon hören.
Allein wenn man bedenkt, dass vielen noch die zahlreichen Lokführerstreiks in „guter“ Erinnerung sind. Von den unzuverlässigen Fahrzeugen und im Sommer oft saunaesken Verkehrsmitteln ganz zu schweigen. Außerdem: Was, wenn ich lieber selbst entscheiden möchte, wie ich von A nach B komme? Auch Ex-Finanzsenator Ulrich Nußbaum findet: „Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob er in gutes Schuhwerk, ein Fahrrad, Auto oder ein Monatsticket investiert. Das ist für mich kein Zukunftsmodell.“
Zumal das „Ticketproblem“ doch gar keines ist. Ist es nicht logisch nachvollziehbar, dass eine Dienstleistung wie das Fahren in Bussen und Bahnen Geld kostet? Sie alle fahren sich eben (noch) nicht von selbst. Wer aus welchen Gründen auch immer keinen Fahrausweis besitzt, muss mit dem 60-Euro-Fahrschein rechnen. Es mag zwar wenig einfühlsam klingen, aber wer die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, sollte sich im Klaren darüber sein, welche Pflichten sich damit verbinden. Bis das Bürgerticket – wenn überhaupt – im ÖPNV an den Start geht, bleiben Fahrscheine unerlässlich und bitten weiterhin nur die zur Kasse, die sie wirklich nutzen und brauchen. Wer trotzdem ohne Fahrschein unterwegs ist, sollte wohl schon jetzt dem Rat von Ex-Finanzsenator Nußbaum folgen und mit einem anderen Verkehrsmittel von A nach B fahren.