Edegbe Andy Ugbogbo steht gerade zwischen seinen Tomatensträuchern und erntet die Früchte seiner Arbeit. Zum Abendbrot soll es frische Tomatensuppe mit Reis für die sechsköpfige Familie geben. Zur Wohnung sind es nur ein paar Meter. Die Wohnung ist eine von Hunderten in diesem Hof – dicht aneinandergedrängt wohnen die Mieter. Die Satellitenschüsseln der Eingänge sechs und acht geben ein ungefähres Bild über die Anzahl der hier lebenden Familien.
Mitten im Plattendschungel, auf einem Innenhof in Kreuzberg, ist seit April ein Garten zu finden, der von den Häusern der Naunynstraße und denen der Waldemarstraße eingegrenzt wird. Die Wohnungsbaugesellschaft degewo folgte damit einem Wunsch der Mieter und setzte das Grün über die Tiefgarage. Der „Sonnengarten“, in dem Blumen die Sicht verschönern, aber besonders Gemüse und Kräuter wachsen, wird gerade für ein Mieterfest genutzt. Von der degewo stammen die Erde und der Samen – die Beete bereiteten sie auch vor. Die Mieter kümmern sich um alles andere.
Ein Garten verbindet
Die 30 Beete wurden interessierten Hausbewohnern zur freien Verfügung gestellt. Auf fünf Quadratmetern können sie pflanzen, was sie wollen. Auch eine Kita ist für eines der Beete verantwortlich. Eines gehört dem Quartiersmanagement und eines birgt Kräuter für alle. Eine Reihe voller Rosen ist schmückendes Beiwerk. Noch vor wenigen Monaten war hier einzig eine platte Rasenfläche mit vereinzelten Sträuchern zu finden. Inzwischen sprießen Sonnenblumen, und Mais aus dem Boden, gelbe Zucchini schlängeln sich auf der Erde entlang, Tomaten blitzen rot hinter den grünen Blättern hervor.
Zu Beginn des Projekts war man sich nicht sicher, ob es fruchten würde. Nun melden sich Mieter aus den benachbarten Innenhöfen bei der degewo, um ihr eigenes Beet zu bekommen.
Die degewo untersucht, ob dort ein vergleichbares Projekt möglich wäre. Der „Sonnengarten“ hat einen festen Pflegeplan, aber wenn ein Mieter das Wasser aufdreht und die Beete wässert, sind meist die Nachbarn nicht weit, um mit anzupacken. Wenn einer in den Urlaub fährt, kümmert sich der Nachbar derweil um dessen Beet, dafür geben sie sich gegenseitig von den Kräutern und dem Gemüse etwas ab. Inzwischen ist man sich nicht mehr fremd, schließlich gibt es eine Aufgabe, die man zusammen bewältigt.
Verantwortung für die Stadt
Edegbe Andy Ugbogbo, seine Frau und die vier Kinder sind seit sieben Jahren Mieter hier. Das Miteinander war noch nie so positiv, sagt er. Seine Kinder haben neue Freunde gefunden, mit denen sie im Garten herumtollen. Jetzt ruft er seine Nachbarin zu sich und zeigt ihr eine Pflanze in seinem kleinen Stück Erde: „Das ist Zitronentee.“ Meflude Kuzu wohnt seit 32 Jahren im Haus. Ugbogbo pflückt ein paar Teeblätter und schnuppert daran. Neulich hat er seiner Frau davon einen Tee gemacht, wegen ihrer Bauchschmerzen. Das Getränk half ihr sehr.
Die degewo schrieb sich durch ihr Leitbild auf die Fahne, Verantwortung für die Stadt zu übernehmen; in Problemkiezen lässt sie Stadtteilmanager nach dem Rechten sehen. Dort, wo jetzt der Mietergarten blüht, war der Rasen oft vermüllt, es war laut, erzählt die Stadtteilmanagerin Nesrin Demir. Jetzt kümmern sich die Mieter darum, dass Ordnung ist, das halte auch die Betriebskosten niedrig.
Beim Aktionstag „Saubere Sache“ ist auch die degewo mit vertreten. Am 15. September veranstaltet sie am Kreuzberger Mariannenplatz von 11 bis 13 Uhr eine Putzaktion. Rund um den Platz besitzt sie mehr als 1200 Mieteinheiten. Für Kinder ist eine Bastelaktion geplant, bei der sie staunen können was man aus scheinbar unbrauchbaren Gegenständen so alles zaubern kann.
„Essen wächst nicht im Supermarktregal“
Regelmäßige von der degewo organisierte Gartenfeste finden nun im Sommergarten statt. An diesem Tag etwa pflückt Umweltpädagogin Regina Höfele mit den Kindern Kräuter. Der Pavillon zwischen den Beeten dient als Versuchsküche für Kräuterbutter, die anschließend aus den handverlesenen Gewächsen hergestellt wird. „Die Kinder sollen lernen, dass ihr Essen nicht im Supermarktregal wächst“, erklärt sie. Das Quartiersmanagement baut auf seinem Stück Land Erdbeeren an, daraus haben die Nachbarskinder schon zusammen Marmelade gekocht. Im Oktober beendet ein großes Erntefest das Gartenjahr, die Beete werden dann auf den Winter vorbereitet.
Aber tatsächlich sind Feste und Treffen längst selbst in Händen der Mieter. Die Bewohnerin Nesrin Özkazanc freut sich schon, wenn der Ramadan vorüber ist, dann treffen sich nachmittags wieder mehr Frauen zum Tee- und Kaffeetrinken. Erst einmal kommt ihre siebenjährige Tochter Cansu herbeigerannt und zeigt stolz ein Fladenbrot mit der selbst zusammengestellten Kräuterbutter. „Lecker!“, sagt sie.
Kurz darauf saust sie mit der Nachbarstochter vorbei, die Mädchen spannen zwischen sich einen großen Müllbeutel auf und beginnen, den Abfall, der hier und da über den Nachmittag verteilt anfiel, wegzuräumen. Der grüne Spielplatz direkt hinter ihrem Haus bleibt schließlich nur grün, wenn alle mithelfen.
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