Im Mai 2010 hat der Erdboden in Oberschöneweide ein Auto verschluckt. Verblüffend war das nicht: Ein Wasserrohr war schuldig. Die meisten Wasserrohre unterhalb der Oberschöneweider Straßen stammen noch aus jenerZeit, in der hier Häuser, Straßen, Kanalisation entstanden. Hundert Jahre ist das her, und hundert Jahre, so sagt man, halten solche Rohre. Dieses eine ist also geplantermaßen geborsten, das Wasser spülte die Erde unter der Siemensstraße fort, so lange, bis das jemand bemerkte, weil der Asphalt aufbrach und das Auto plötzlich fehlte.
Niemand kam zu Schaden, die Versicherung hat das Auto bezahlt, die Wasserbetriebe benötigten zwei Wochen, um das Rohr zu reparieren. Man darf also sagen: Die Sache war ein großes Glück, für die Edisonstraße jedenfalls. Dass die Edisonstraße nämlich eine der schlimmsten dieser Stadt ist, liegt am Verkehr, und solange die Siemensstraße aufgrund der Rohrarbeiten gesperrt war, regte sich auch kein Verkehr in der Edisonstraße. Zwei Wochen Stille, Anwohner öffneten ihre Fenster nach vorn raus, sie plauderten auf offener Straße, sie überquerten die Straße sogar jenseits der Ampeln.
Die paar Tage waren ein Ausblick auf die ferne Zeit, in der die Edisonstraße ganz gesperrt sein wird für alle Autos oder wenigstens „verkehrsberuhigt“. Über eine neue Trasse mit dem netten Namen „Tangentiale Verbindung Ost“ soll der Verkehr dann umgeleitet werden. Obwohl noch viele Jahre bis dahin vergehen werden, existiert längst eine Abkürzung: TVO.
Hoffnungsträger für die Kinder von einst
Abkürzungen mit O am Ende sind üblich in Oberschöneweide, besser gesagt sie waren es: Es gab hier einst das KWO, Kabelwerk Oberspree, das TRO, Transformatorenwerk Oberspree, sowie das KLO, die Karl-Liebknecht-Oberschule.
Wie ganz Oberschöneweide war einst die Edisonstraße geprägt von den O-Werken. An ihrem Beginn stand das TRO, ehemals AEG, heute „Rathenau-Hallen“. Die meisten Bewohner der Gegend arbeiteten dort. Die Industriebahn, die Seite an Seite mit der Straßenbahn und den damals noch wesentlich lauteren Autos auf- und abfuhr, stellte die Verbindung der Werke mit dem Bahnhof Rummelsburg dar.
Für die Kinder des Kiezes war diese Bahn, „Bulle“ genannt, eine riesige Attraktion. Sie bewegte sich im rumpelnden Schritttempo die Straße entlang, zog Hänger mit tonnenschweren Transformatoren und übergroßen Kabeltrommeln, und einer der beiden Fahrer sprang kurz vor jeder Kreuzung ab, lief vor und stoppte mit seiner schmutzigroten Fahne die Autos. Dann sprang er zurück auf den Bullen, und alle Kinder, die nicht schon Feuerwehrmann werden wollten, wollten Bullenfahrer werden. Das gibt es alles längst nicht mehr.
Nach hinten raus ganz ruhig
Foto Wollermann gibt es noch. Der Laden ist einer von dreien, die die letzten zwei Jahrzehnte auf der Edisonstraße überdauert haben. Carola Wozniak arbeitet hier schon immer, sie entwickelt auf Kundenwunsch auch noch Schwarzweißfilme, und sie findet, dass die Dinge früher auf keinen Fall schlechter waren. All die KWO- und TRO-Arbeiter, die hier vor dem Laden Schlange standen! Gut, wenn der Bulle vorbeifuhr, konnte sie keine Fotoarbeiten machen, weil das Haus wackelte und die Bilder nicht scharf wurden.
Und die Fassaden waren viel dreckiger als heute. Doch überall waren richtige Geschäfte, keine Ramschläden wie jetzt. Wobei, das muss Frau Wozniak auch sagen: „Die Gegend ist schon attraktiv. Von der Sache her.“ Das sagen alle hier: Die Edisonstraße mag fürchterlich sein, aber Oberschöneweide doch nicht. Nach hinten raus ist es total ruhig.
Ick bin für die Beladenen da
In der „Kleinen Kneipe“, gegenüber von Wollermann, bezahlt man für das Bier vom Fass 1,50 Euro und in der Flasche einen Euro. Vor wenigen Jahren hat Jürgen Buchholz die Kleine Kneipe übernommen, „jenau zu Weihnachten, weil dit mein Konzept is’: Ick bin für die Beladenen da.“ Bei ihm ist Rauchen erlaubt, weil er nur 35 Quadratmeter hat und kein Essen anbietet. Darum ist in der Kleinen Kneipe die Luft noch schlechter als draußen auf der Straße. Die Tür bleibt selbstredend zu, sonst wäre die RS2-Musik nicht zu hören und die Späße der Beladenen auch nicht: „Ick bin EU-Rentner. Verstehste? EU! Erwerbsunfähig!“
Viele stecken Hoffnungen in die Straße, wie Daniel Brüning. Der Bulgare suchte vor zwei Jahren ein kleines Haus irgendwo in Berlin und fand ein sehr großes, für 100.000 Euro, hier an der Edison. Er hat es ausgebaut, und jetzt besitzt er eine große Pension, „Edison 13“, „Schulden, bis ich 70 bin“ und eine hohe Meinung vom Kiez: „Das hier ist das neue Prenzlauer Berg!“ Tatsächlich, sein Haus ist ausgebucht. Vor allem Bauarbeiter wohnen hier und genießen den ruhigen Hinterhof. Die Gegend ist wirklich nicht so furchtbar wie ihr Ruf. Jetzt müssen sie nur noch die TVO bauen, die Edisonstraße dichtmachen und Bäume pflanzen. Dann wird auch niemand mehr von „Schweineöde“ reden.