Offener Austausch in Hellersdorf

Miteinander über Mieten reden

Die Teilnehmer des ersten Fair-Miet-Salons lauschen den Worten einer Berlinovo-Mieterin.
Die Teilnehmer des ersten Fair-Miet-Salons lauschen den Worten einer Berlinovo-Mieterin. Zur Foto-Galerie
Kaulsdorf – Eine offene Diskussion mit den direkt Beteiligten über das Reizthema Wohnungsmarkt zu führen ist das erklärte Ziel der neuen Gesprächsreihe Fair-Miet-Salon. Zum Auftakt trafen sich Politiker, Vertreter eines Wohnungsunternehmens und Mieter im Stadteilzentrum Hellersdorf-Süd. Über das Ziel herrschte weitgehend Einigkeit – Unterschiede gab es bei den Lösungsvorschlägen.

Kaum ein Tag vergeht in Berlin ohne neue Meldungen zur Situation auf dem Wohnungsmarkt – und der Auseinandersetzung darüber. Steigende Miet- und Kaufpreise, Zwangsräumungen, Widerstand gegen Neubauprojekte, der gelegentlich auch Sachbeschädigungen beinhaltet – das Thema füllt die Zeilen. Die Debatte ist wichtig, da sie viele Berliner betrifft, gleichzeitig wird sie jedoch überhitzt geführt. Die neue Gesprächsreihe Fair-Miet-Salon des Clubs AusserGewöhnlich Berlin möchte zur Versachlichung beitragen, indem sie Betroffene, Handelnde und Verantwortliche in ruhiger Atmosphäre an einen Tisch bringt.

Die erste Ausgabe im Kompass Stadtteilzentrum Hellersdorf-Süd brachte Politiker verschiedener Couleur zusammen: Die ehemalige Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke), heute Sprecherin ihrer Fraktion für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, der Spandauer SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz, gleichfalls Sprecher für Stadtentwicklung, sowie Lokalmatador Christian Graeff (CDU), der als Bezirksstadtrat in Marzahn-Hellersdorf für das Thema zuständig ist. Ihre Diskussionspartner waren Roland J. Stauber und Stefan Ehrlich von berlinovo Immobilien sowie drei Mieter aus der Nachbarschaft und angrenzenden Bezirken.

Neubauten eine, aber nicht die einzige Lösung

Bei der Bestandsaufnahme der Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt gab es Unterschiede in der Beurteilung, aber auch Einigkeit. Lompscher fasste die Lage zusammen: „Wohnungen werden knapp. (…) Gründe sind z.B. der Einwohnerzuwachs, ein unterdurchschnittlicher Wohnungsneubau und ein allgemeiner Preisauftrieb. Die Problemsituation hat sich definitiv zugespitzt.“ SPD-Vertreter Buchholz sieht ebenfalls Handlungsbedarf: „Die Leerstandsreserven sind inzwischen vollständig aufgebraucht, die bisher pro Jahr errichteten Neubauten reichen für den Mehrbedarf nicht aus.“ Stadtrat Graeff konstatiert einen Mangel bei Wohnungen im mittleren Preissegment um die 9 Euro pro qm, findet aber manche Darstellung übertrieben: „In den Medien herrscht zum Thema Mietpreise und Wohnungsmarkt die übliche Schwarzweiß-Malerei. Die Wahrheit liegt in der Mitte.“ Darüber hinaus kritisierte er die Fixierung auf bestimmte Stadtteile: „Nicht jeder will und muss am Kollwitzplatz wohnen.“

Die Teilnehmer des Fair-Miet-Salons befürworteten unisono Neubauten, doch nicht über alle möglichen Maßnahmen herrschte Konsens. Katrin Lompscher tritt für eine Mietpreisbremse ein, da Mieterhöhungen oft genug nicht gerechtfertigt seien. Berlinovo-Geschäftsführer Roland Stauber zeigte sich dieser Forderung gegenüber skeptisch: „Mietobergrenzen schützen nur den, der eine Wohnung hat. Sie lösen kein Problem grundsätzlich und für die, die eine Wohnung suchen.“ Staubers Unternehmen sieht seine Aufgabe im Sichern der Bestände, denn mit Neubauten alleine lasse sich das Wohnungsproblem nicht lösen. Der Geschäftsführer fordert daher ein größeres Augenmerk der Politik auf den Bestand: „Berlin hat noch 3 Prozent leer stehende Wohnungen. (…) Hier stecken noch viele Reserven, die man mit Neubau gar nicht so schnell erreichen kann.“

Städtische Grundstücke verkaufen oder verpachten?

Daniel Buchholz skizzierte weitere mögliche Maßnahmen. Eine neue Wohnungstauschbörse, bei der alle städtischen Wohnungsgesellschaften mitmachen, könne helfen. Außerdem fordert der Spandauer ein konsequentes Umdenken in der Liegenschaftspolitik – bei den öffentlichen Flächen und Grundstücken der Stadt: „Nachdem über viele Jahre fast alles meistbietend verhökert wurde, sollten jetzt keine Grundstücke mehr verkauft werden. Über Pacht- und Erbpachtverträge lassen sich stattdessen langfristig soziale Standards oder Nutzungen für neue Arbeitsplätze vereinbaren.“ Graeff möchte demgegenüber die dafür freigegebenen Grundstücke „zügig und zu marktfairen Preisen“ verkaufen.

Über die Entwicklung in seinem Bezirk zeigte sich der Bezirksstadtrat erfreut: „Es ist erstaunlich, wie sehr sich das Image von Marzahn-Hellersdorf in den letzten Jahren positiv verändert hat.“ Graeff zitierte eine Prognose, nach der für den Bezirk ein Netto-Zuzug zu erwarten ist. Er glaubt jedoch nicht, dass es sich bei den Neubewohnern um Vertriebene aus Mitte handelt: „Marzahn-Hellersdorf ist ein Bezirk, in den man aus Überzeugung zieht, nicht, weil man woanders keine Wohnung bekommen hat.“

Auch wenn das Wohnungsproblem natürlich nicht gelöst wurde: Hervorzuheben war die sachliche Atmosphäre, in der die erste Runde des Fair-Miet-Salons stattfand – kein gegenseitiges Ins-Wort-Fallen wie in Fernseh-Talkshows, keine persönlichen Angriffe. Die Gesprächsreihe wird in den kommenden Monaten fortgesetzt.

Foto Galerie

KOMPASS Stadtteilzentrum, Kummerower Ring 42, 12619 Berlin

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