Neue Doku im Kino

Der Kreuzberger Herkules bringt uns die Kohle

Seit mehr als 35 Jahren schleppt Ahmed Özdemir Kohle in Kreuzberger Wohnungen. Nun kommt eine Doku über ihn ins Kino.
Seit mehr als 35 Jahren schleppt Ahmed Özdemir Kohle in Kreuzberger Wohnungen. Nun kommt eine Doku über ihn ins Kino.
15 Jahre lang begleitete Filmemacher Volker Meyer-Dabisch den Kohlehändler Ahmed Özdemir aus der Ohlauer Straße. Herausgekommen ist eine Dokumentation über Kreuzberg im Wandel und einen Mann, der trotz verlorener Träume sein Lächeln nicht verliert.

Die Doku beginnt mit einem Mann mit grauen Haaren, der in einem Wohnhaus gerade Kohlepakete in die Wohnung des Filmemachers Volker Meyer-Dabisch schleppt. Er schnauft dabei ganz schön: „Als ich noch jung war, konnte ich 100 Kilo auf einmal tragen„, sagt Ahmed Özdemir, ein türkischer Immigrant, der seit mehr als 35 Jahren Kohlehändler in Kreuzberg ist. Der letzte seiner Art.

Die beiden kennen sich, denn immer wieder treibt es Meyer-Dabisch mit seiner Kamera in den Kohleladen von Ahmed, der in den 90ern richtig gut lief. Zwischen 2001 und 2015 besuchte er den Familienvater phasenweise, um zu drehen. Bei einer Rückblende bekommt der Zuschauer mitunter Aufnahmen zu sehen, wie Ahmed neben Kohle in seinem Laden auch zwei Wodka für 5,90 D-Mark verkauft.

Laden als Mikrokosmos für Familie

Zu der Zeit managt er den Laden gemeinsam mit seiner temperamentvollen Frau. Es dauert nicht lange und man merkt, dieser Laden in der Ohlauer Straße ist wie ein Mikrokosmos für die Familie. Es ist vielmehr eine Küche als ein Geschäft. Kinder verhandeln hier mit ihren Eltern um Geld für Klassenausflüge – es treffen Kulturen aufeinander, die über den Kohlepreis diskutieren, ohne sich immer ganz richtig zu verstehen.

Die Zuschauer bekommen aber auch mit, wie eine Verhaftung wegen Urkundenfälschung die Familie auf Trab hält und wie Ahmeds Träume nach einem anderen, besseren Leben immer wieder zerplatzen. „Bis 1994/95 hat sich Kohle gelohnt, dann kannst du vergessen – Kohle“,  sagt Ahmed an einer Stelle. Doch der Absprung gelingt nicht. Immer wieder hört er Kunden sagen: „Jetzt bekomme ich eine normale Heizung.“ Die Welt ändert sich um Ahmed.

Obwohl das Damoklesschwert eines baldigen Ruins über seinem Kopf schwebt, sieht man immer wieder dieses ansteckende Lächeln des stämmigen Mannes, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. „Ich schäme niemals mein Leben“, sagt er.

Geboren zwischen Kohlebriketts

Ahmed und sein Sohn Oktay Özdemir treffen sich zu einem letzten Abend vor der Schließung im Jahr 2009 in dem Kohlegeschäft. Kleiner Fact am Rande: Heute findest du hier einen Friseur. Oktay arbeitet als Schauspieler und ist durch seine Rollen in Knallhart und Schwarze Schafe bekannt. Er erinnert sich an den Laden als einen wichtigen Treffpunkt, als den Ort an dem er sozusagen geboren wurde und als eine Art Theater, wenn seine Eltern stritten. Oktay ist es auch, der seinem Vater den Spitznamen Herkules verpasst. Er schließt wehmütig mit dem Satz: „Dieser Laden hat auch Berlin etwas mitgegeben.“

Fazit: Zur Premiere von Herkules am 25. März gab es Standing Ovations vom Publikum. Zu Recht! Denn diese Doku ist nicht nur eine Migrationsgeschichte, sie ist auch die Geschichte einer großen Liebe, die einen Mann von der Türkei nach Deutschland trieb. Zudem ist es ein Stück Stadtgeschichte über ein Kreuzberg, das mittlerweile ganz anders aussieht. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der weder an den widrigen Umständen zerbricht noch einen phänomenalen Aufstieg hinlegt, sondern versucht das Leben im Hier und Jetzt zu meistern. Das macht die Doku Herkules zu einem unaufgeregten Zeitzeugen, dem man gerne zuhört.

Die Dokumentation Herkules startet ab 30. März 2017 im Kino. Im Moviemento kannst du an diesem Tag um 18.45 Uhr eine Vorstellung in Anwesenheit des Regisseurs Volker Meyer-Dabisch sehen.

Moviemento, Kottbusser Damm 22, 10967 Berlin

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