Das eingeschossige Gebäude von 1906 sticht mit seinem neobarocken Fassadendekor aus dem Quartiersbild heraus. Auf den Freiflächen links und rechts davon befinden sich zurückgesetzt vom Straßenrand hinter eisernen Zäunen moderne Kastenbauten: eine Gemeinschaftsschule, eine Kita. Das alte Haus mit vergitterten Fenstern steht seit Anfang des Jahres für 790.000 Euro zum Verkauf. „Halte deinen Kiez dreckig“ und andere, chiffrierte Graffiti-Botschaften bedecken die Mauer. Über dem Portal ist eine Messingtafel „Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“ angebracht. Doch diese Gemeinde, eine frühe Abspaltung der Mormonen-Gemeinschaft, hat ihr Domizil an der Kreuzberger Fontanepromenade vor vier Jahren verlassen.
Seitdem wechselte die vormals als Verbandshaus der Fuhrwerk-Genossenschaft errichtete Immobilie einmal den Besitzer. Jetzt preist ein Maklerbüro den Bau an, der sich von außen, so heißt es in der Anzeige, „weitestgehend in seiner ursprünglichen Gestalt“ präsentiert. Das Dach könne man ausbauen, die Deckenhöhe sei enorm. „Das Objekt steht vor allem auf Grund seiner geschichtlichen Bedeutung vollständig unter Denkmalschutz.“
26.000 Juden mussten sich hier melden
Die geschichtliche Bedeutung entstand zwischen1938 und 1945. Hinter diesen Mauern residierte die vom Berliner Arbeitsamt eingerichtete „Zentrale Dienststelle für Juden“: eine Behörde zur Vermittlung von Zwangsarbeitern an 260 Betriebe. Rund 26.000 Juden mussten sich hier melden, wurden meistens zur Schwerstarbeit in „Judenkolonnen“ weitergeleitet – abgestimmt mit der Gestapo, die eine Deportation der Arbeitskräfte zeitweilig aufschob, um kriegswichtige Produktionsstätten nicht zu gefährden. Das Haus, dessen Seitenflügel im Verlauf des Krieges bei Bombenangriffen zerstört wurden, war für die Anzahl all jener, die da antreten mussten, zu klein. In den engen, dunklen Fluren herrschte Gedränge. Ungewissheit, Angst, demütigende Behandlung bestimmten die Atmosphäre.
Vergangenheit scheint Käufer abzuschrecken
Seit 1950 hat die Mormonen-Gemeinde das Haus der Sklaven-Agentur, mit dem überlebende Verfolgte vergiftete Erinnerungen verbinden, für Gottesdienste genutzt. Nun ist dieses Baudenkmal, bei dem für Investitionen und Modernisierung steuerliche Anreize gewährt werden, auf den freien Markt gelangt.
Es ist nicht der erste Berliner Bau, der belastet erscheint durch seine historische Hypothek und vielleicht auch deshalb Interesse weckt. So waren seit 2006 im Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts, das zwischen 1939 und 1945 rund 1.400 Todesurteile fällte, an der Witzlebenstraße über dem Lietzensee hundert Luxuswohnungen eingerichtet worden.
Ulrich Bläser von der Firma Engel & Völkers, die das Objekt Fontanepromenade 15 anbietet, erwähnt Reaktionen potenzieller Käufer, die in einen anderen zur Wohnresidenz umgewandelten Komplex, einem ehemaligen Krankenhaus an der Großbeerenstraße, einziehen wollten, aber vor dem Grusel-Effekt zurückschreckten: Dann lieber doch nicht die vormalige Pathologie zum Eigenheim erwählten, sondern einen anderen Gebäudeteil. „Auch die Geschichte an der Fontanepromenade lässt sich nicht vertuschen“, sagt der Makler. „Wir weisen ja im Exposé offen darauf hin, außerdem steht zur historischen Information eine Stele davor.“ Eine adäquate Nutzung zu finden, sei allerdings nicht so einfach. Gewiss könne man ein schönes Wohnhaus daraus machen, aber „wenn Geld keine Rolle spielt, gibt es wohl andere Orte, an denen so was einfacher zu realisieren wäre.“
Anwohnerin sucht Überlebende der „Schikanepromenade“
Zum Erinnerungsprojekt 2013 gehörte auch der gelbe Anstrich einer Bank und die Verteilung von 5000 Informationskarten in der Nachbarschaft. Die Finanzierung einer Geschichtswerkstatt an diesem Ort ist gescheitert. Die Frage, ob in dem ehemaligen Verbandshaus die Einrichtung einer weiteren Gedenkstätte angestrebt werden soll, stößt bei Hermann Simon, dem Direktor der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum auf Zurückhaltung. Momentan gebe es in Berlin genug „unterfinanzierte Einrichtungen“ dieser Art. Den Umgang mit solch einer NS-Hypothek bezeichnet der Historiker als schwierig. Jedenfalls müsse, „wer da wohnen will, sich mit dem, was da passiert ist, auseinandersetzen“. Deshalb sei es wichtig, „dass der Ort gekennzeichnet bleibt.“