Peter R. (Name geändert) ist immer noch schockiert: „Das war brutale Freiheitsberaubung“, sagt der Kreuzberger: „Ich hoffe, dass sich jemand um die junge Frau kümmert.“ R. hat wie weitere Zeugen am Montagvormittag in der Bergmannstraße beobachtet, wie eine junge Frau zunächst von einem Mann offensichtlich verfolgt wurde und bei Passanten Hilfe suchte. Dabei soll sie gerufen haben „Die bringen mich um“ und „Bitte holen Sie die Polizei.“ Später kamen zwei weitere Männer hinzu. R. hat gesehen, wie sie die junge Frau mit – wie er sagt – „äußerster Brutalität“ aus dem Lkw zerrten, in dem sie Schutz gesucht hatte. „Ich dachte, die stechen sie nieder“, sagt R.: „Sie haben sie gewaltsam in ein Auto gesetzt und sind losgerast.“ Dabei hätten die Männer keine Rücksicht auf Passanten genommen, das Fahrrad einer Frau ging zu Bruch, verletzt wurde niemand, aber das, sagt R., sei reines Glück gewesen.
Etwas später war die junge Frau mit ihrem Vater und zwei Brüdern auf einer Polizeidienststelle erschienen und hatte ausgesagt, dass „nichts gewesen sei“ und die Zeugen sich geirrt hätten. Weil die 18-Jährige keine Anzeige erstattete, hatte es zunächst geheißen, es werde nur wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt.
In Berlin fehlen Plätze in Frauenhäusern
Es sei kein Einzelfall, dass Opfer aus Angst ihre Aussagen oder gar Anzeigen zurückziehen, sagt eine Streetworkerin, die für Gangway, den größte Träger von Straßensozialarbeit in Deutschland, arbeitet. Deshalb sei es so wichtig, dass genügend Plätze in Frauenhäusern zur Verfügung stünden, was aber in Berlin derzeit nicht der Fall sei.
Behörden prüfen, ob die Frau akut bedroht ist
Dass sich die Polizei mit Auskünften zum Vorfall in der Bergmannstraße nach der Aussage der 18-Jährigen zurück hält, hat zum einen mit Datenschutzbestimmungen zu tun. Zum anderen würden die Behörden sicher genau abwägen, ob die Frau akut bedroht ist und entsprechend handeln, sagt Rechtsanwalt Michael De Saavedra-Mai. Auch eine Mitarbeiterin von Papatya, einer anonymen Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen, die von zu Hause flüchten wollen und Angst haben, dass ihre Familien sie verfolgen und bedrohen, ist dieser Ansicht: „Die haben eine spezielle Abteilung für häusliche Gewalt, in solchen Fällen vermittelt sie den Betroffenen oft Hilfe beziehungsweise Informationen über Hilfsangebote.“
Viele haben Angst vor einem Ehrenmord
Papatya gibt es seit 30 Jahren, die Einrichtung hat in dieser Zeit in Berlin etwa 1800 Mädchen und jungen Frauen geholfen. „Nicht wenige laufen in Todesangst vor ihrer Familie davon, weil sie zwangsverheiratet werden sollen oder Angst vor einem Ehrenmord haben“, sagt die Papatya-Mitarbeiterin: „Wir bringen sie an sichere Orte, notfalls auch außerhalb von Berlin.“ Die jungen Frauen kämen oft aus Familien mit patriarchalischen Strukturen – ihre Väter oder Brüder würden in der jeweiligen Community verspottet, wenn sie „ihre Frauen nicht im Griff hätten“. Meistens betreffe das türkisch-kurdische oder arabische Familien. Um eine solche soll es sich auch in der Bergmannstraße gehandelt haben.