„Das Internet ist für uns alle Neuland“ – Dieser Aussage Angela Merkels, welche letztes Jahr großes Gelächter im Netz auslöste, wird auf der transmediale wohl niemand zustimmen. Dort haben alle den Hype, beziehungsweise die Hypes, mitgemacht oder zumindest genau verfolgt. Sie sind „digital natives“ und Pioniere, haben sich im Netz künstlerisch ausgetobt und wenden sich nun, desillusioniert durch NSA und technologischen Overkill, von dieser Welt ab – oder plädieren halb enthusiastisch, halb aus der Not heraus, für eine neue Ära der digitalen Kultur.
Auf ihren Plakaten fragt die transmediale: „Wie fühlst du dich heute?“ Die feine Schrift vor dem melancholisch lilafarbenen Dünenmotiv erinnert an die Überflutung durch die bei Facebook-Nutzern beliebte Internet-Poesie, die lediglich aus kurzen Sätzen in Helvetica auf einem Foto mit Vintage-Filter besteht. Als Antwort scheint nur eine in Frage zu kommen: „Ja, ich fühle mich ausgelaugt, ich sehne mich nach einem neuen Morgen.“
Das Festival für Medienkunst und digitale Kultur widmet sich mit Teilnehmenden aus Kunst, Wissenschaft und Praxis dem „afterglow“ der digitalen Revolution: Hightech-Glanz, Elektroschrottplätze, Big Data-Firmen, und Überwachungssysteme bilden den Ausgangspunkt, „um zu erkunden, wie in der postdigitalen Gegenwart einstige Schätze des mediatisierten Lebens zu Müll werden“, wie es im Werbetext heißt.
Visualisierung der Datenmassen
Aber was passiert nun mit solchen Daten? Durch ein Landvermessungsgerät schaut man auf eine gegenüber an der Decke aufgehängte Scheibe mit der Aufschrift: „40 Percent of U.S. Americans think they know how to protect their privacy“. Nicht mal die Hälfte. Und wo fängt bei so durchdringender Überwachung und gleichzeitiger digitaler Selbstdarstellung unsere Privatsphäre an? Wer entscheidet, wessen Aktivität wie weit aufgezeichnet werden darf? Oder bedeutet allein diese Frage eine Resignation gegenüber der (Über-)Macht der Technologie?
Über ähnliche Fragen machen sich die TeilnehmerInnen der Konferenzen Gedanken. Diskutiert wird auf den Symposien etwa über Überwachung und NSA, das post-digitale Überleben in der Creative City, dezentralisierte Systeme und Webtools für städtisches und bürgerliches Leben, die „Uses and Abuses of Big Data“, zur Komplexität und Poesie des Digitalen, über die Geografie von Dating-Apps oder auch über den Einfluss von synthetischem und elektronischem Müll auf biologische und geologische Körper. Wer es nicht zu den Veranstaltungsorten schafft, kann die Konferenzen auch von zu Hause aus per Live-Stream mitverfolgen. Außerdem werden Filme und Performances gezeigt und abends Konzerte veranstaltet.
Berliner Hackathon
Tina Tonagel nahm einen Toaster auseinander und lässt die BesucherInnen über Kopfhörer das leise Summen und zeitweise Knacken hören, wenn sich das Gerät erhitzt und wieder abkühlt – wie das Ein- und Ausatmen unseres vermeintlich leblosen elektronischen Frühstücks-Begleiters. Julian Oliver dokumentiert auf einer Leinwand in seiner abgedunkelten Ecke die eingehenden WLAN-Anfragen, welche ständig über Smartphones verschickt werden. Riesige Ansammlungen von Daten, die uns ständig um die Ohren fliegen. Auf der oberen Etage haben sich Hannes Hoelzl und Alberto De Campo einer sehr kurzfristigen Datenspeicherung gewidmet: Auf einer sich drehenden Wachswalze werden mit einer Nadel Klänge eingeritzt, nur um kurz darauf mit einer Kerze wieder eingeschmolzen zu werden.
Bei all dem Trubel und all dem Philosophieren, in welcher Welt wir leben, beziehungsweise Leben wollen, wird oft vergessen zu fragen, unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten, die solche Festivals organisieren und tragen. Bei der Eröffnung der transmediale am Mittwochabend stellten sich zwei Frauen im symbolischen Oben-Ohne-Protest ins Foyer – sie waren komplett angezogen und hatten sich Smartphones mit Fotos von nackter Haut auf die Brust geheftet – und hielten Schilder hoch: „Wie ist die Korrelation zwischen dem transmediale Festival und prekärer Arbeit?“ Auf dem Rücken zitierten sie ein Schreiben, welches informierte, dass die Stelle zum Projektmanagement im Bereich Performance bedauerlicherweise in ein Praktikum bei 135 Euro Aufwandsentschädigung umgewandelt wurde. Wird da Kulturarbeit bald zum Ehrenamt für diejenigen, die sich um den eigenen Lebensunterhalt keine Sorgen machen müssen? Dieses Thema muss wohl auf anderen Veranstaltungen besprochen werden.
Die Transmediale findet vom 29.Januar bis 2. Februar im Haus der Kulturen der Welt statt. Öffnungszeiten: täglich von 11:00 Uhr bis 23:00 Uhr, Ausstellung bis 21:00 Uhr. Eintritt: Einzelne Veranstaltungen: 5 bis 10 Euro / Tagestickets 25 Euro, ermäßigt 20 Euro. Das gesamte Festival-Programm gibt es hier.