Rückblick: Es ist Ende 2015, Eunique Cudjo, für die Hip Hop schon immer eine Selbstverständlichkeit war, sitzt in ihrem Zimmer in Hamburg-Ohlsdorf. Mit dem Abi in der Tasche denkt sie darüber nach, Musik zu ihrem Beruf zu machen. Musikmanagerin? Rapperin? Songwriterin? Kurzerhand lädt sie ein selbstgedrehtes Freestyle-Video auf Facebook hoch und macht sich auf den Weg zu ihrem Hostessen-Job im Stadion von St. Pauli. 90 Minuten dauert das Fußballspiel, bei dem Eunique für 8,50 Euro die Stunde in Trikot, Jeans und High-Heels im Fahrtsuhl steht und die Gäste in die richtige Etage bringt. Währenddessen stößt der Berliner Rap-Pionier Fler in den Sozialen Netzwerken auf Euniques Rapvideo. Begeistert von ihren Skills teilt der Rapper das Video auf seinem eigenen Kanal. Kurze Zeit später melden sich die ersten Labels und Produzenten. Und während für St. Pauli die letzten Minuten des Fußballspiels laufen, kommt Eunique ihrem Traum eine erfolgreiche Rapperin zu sein, ein Stückchen näher.
„Das war schon krass damals. Ich habe direkt Support bekommen, womit ich nicht gerechnet habe“, erzählt die heute 22-Jährige bei unserem Treffen in Berlin-Mitte. Sie trägt lange, lila gefärbte Haare, enge Jeans und helle Boots. Auf der schwarzen Cappy steht die Zahl 1995, ihr Geburtsjahr. Neben ihr sitzt ihre Freundin Apo.
Als erste Station für unseren Spaziergang hat sich Eunique das asiatisch-amerikanische Restaurant Chicken Buzz ausgesucht, wo sie öfter hinkommt, um sich Popcorn-Chicken und dazu jeden Dip, den das Lokal anbietet, zu bestellen: „Ich übertreibe immer, selbst beim Essen“, erzählt sie, streicht sich eine lila Haarsträhne aus dem Gesicht und lacht. Es scheint, als sei Standard für Eunique niemals genug.
Eunique ist in Hamburg-Ohlsdorf aufgewachsen, lebte sowohl bei ihrer Pflegefamilie als auch bei ihrer leiblichen Mutter. Letztere arbeitet als Flugbegleiterin, war selten zu Hause und hat Euniques Leidenschaft für Musik nie richtig teilen können. „Sie hat damals nicht verstanden, dass jede Minute die ich am Klavier saß, wichtig war für den Menschen, der ich jetzt bin.“ Seit 2016 wohnt die Hamburgerin in Berlin. Eigentlich ist sie nur für ein Wochenende hergekommen, um die ersten Songs aufzunehmen. „Dann bin ich doch zwei Wochen geblieben, dann drei, plötzlich wurde es ein halbes Jahr. Und jetzt bin ich immer noch hier.“ An ihrer Seite immer mit dabei ist ihr Manager, Produzent und Mentor, der den quasi ungooglebaren Namen Michael Jackson trägt. Michael hat nicht nur maßgeblich an Euniques Debütalbum Gift mitgewirkt, er verfolgt auch das Ziel, Eunique nach ganz oben zu bringen. „Nach meinem ersten Meeting mit Michael hat er mich gefragt, ob ich denn auch wirklich bereit sei, was für meine Karriere zu geben“, erzählt sie, während wir uns frische Himbeer-Limonade bestellen. „Und dann hat er das Bootcamp angesprochen.“
Reality-Show „Becoming Eunique“
Klavierunterricht, Vocal-Coaching, Tanz und Performancetraining, Fitness und Selbstverteidigung und natürlich stundenlange Sessions im Studio – in dem sogenannten Bootcamp soll Eunique herausfinden, wofür sie steht. „Denn wenn du weißt, wer du bist, dann kann dir niemand etwas“, haut sie selbstsicher raus und wirkt, als hätte sie das Ziel der Selbstoptimierung schon erreicht. „Ich sage nicht, dass ich die Krasseste bin. Aber ich werde jeden Tag besser!“ Klingt eigentlich ganz simpel.
Und weil all das noch nicht genug ist, wird ihr Weg zum Star in ihrer eigenen Webserie Becoming Eunique dokumentiert. 24 Stunden am Tage wurde sie von Kameras begleitet: „Mir war wichtig, dass meine Fans mich kennen, wissen, worüber ich lache und auch welche Dinge mich nerven.“ Aber da wir ja eh im Zeitalter von Social Media leben, sei das auch nichts Besonderes mehr, erzählt sie: „Du hast jetzt die Möglichkeit, immer zu kommunizieren. Als Fan folgst du der Person den ganzen Tag auf Instagram, weißt was sie macht und was sie denkt.“ So auch ihre eigene Fangemeinde, die Eunique „Kobra Militär“ nennt, ein Zusammenschluss von hauptsächlich jungen Frauen, die Eunique supporten. „Meine Vision ist ja, dass ich gar nicht alleine oben auf der Bühne stehen will. Ich will Leute um mich herumhaben, die auch Ziele haben“, erzählt sie entschlossen. Und wer kann schon von sich behaupten, ein eigenes Militär zu haben?
Wir verlassen das Chicken Buzz, laufen zielstrebig die Brunnenstraße hoch. Eunique hat Muskelkater vom gestrigen Work-Out. „Gestern habe ich zwar um 18 Uhr Schluss gemacht und versucht früh zu schlafen. Meistens bin ich aber doch bis drei oder vier Uhr wach, habe dann morgens ab 8.30 Uhr schon Training im Soho-House oder bin beim Muay Thai und muss um 11 Uhr im Studio in Schöneberg sein.“ Doch das Bootcamp, das harte Training, die ständige Social Media-Präsenz, all das zahlt sich aus: Ihr Album Gift, auf dem sie mit deutschen Texten von starken Frauen und Empowerment rappt, landet prompt auf Platz 7 in den deutschen Albumcharts und sogar auf Platz 1 in den Hip Hop-Charts. Sie bekommt einen Werbedeal mit dem amerikanischen Sportriesen Nike, läuft den Berliner Halbmarathon, wird in der nächsten Staffel der erfolgreichen Serie 4Blocks zu sehen sein und startet im Januar ihre erste eigene Tour. Kein Zweifel, Eunique will immer weiter über sich hinauswachsen.
Kämpferische Mulan
Doch trotz des Wirbels um ihre Person wirkt die Rapperin immer authentisch und weiß ganz genau, wohin ihre Mission sie führen soll. Vermisst sie Hamburg manchmal? „Berlin ist von den Menschen her richtig schön, aber ich komm nicht mit dem System klar. Es gibt diese verschiedenen Kieze, die fast wie eine eigene Stadt sind. Dann gibt es keine richtige Innenstadt, das verwirrt mich. Da gefällt mir Hamburg schon besser.“ Wir kommen an Euniques Stamm-Späti vorbei, wo sie sich schnell eine Packung Zigaretten kauft. Rauchen ist ihr Laster. „Ich habe mich hypnotisieren lassen, in der Hoffnung, dass ich komplett damit aufhören kann. Das hat zehn Tage geklappt. Jetzt rauche ich wieder“, sagt sie und schmunzelt. Vor dem Späti sitzen Jugendliche, trinken Flaschenbier und unterhalten sich. Der ein oder andere dreht sich zu Eunique um, die Selfies von sich macht und kurze Videos auf Instagram hochlädt. Ihre Message an die Fans: Durchhalten, weitermachen und sich nicht unterkriegen lassen. So inszeniert sich Eunique auch auf ihrem Album als die kämpferische Disneyfigur Mulan. „Auch Mulan glaubt an sich selbst und will nicht wie die anderen sein, nur um von ihnen akzeptiert zu werden, auch sie zieht in eine Art Bootcamp.“ In der Rolle der selbstbestimmten Frau, die sich klar in der Männerwelt behauptet und ihre Anhängerschaft inspiriert, scheint sich Eunique zu gefallen.
Unsere letzte Station ist der Weinbergspark. Auch hier trainiert sie und geht regelmäßig joggen. Wir schlendern über die grüne Wiese, vom Spielplatz ertönt Kindergeschrei. „Letzte Woche habe ich hier Intervall-Laufen geübt: Drei Minuten laufen, eine Minute gehen, dann wieder drei Minuten laufen… Ich hatte eh schon so Muskelkater, das waren die langsamsten 3 Minuten meines Lebens“, sagt sie und lacht ihr lautes, sympathisches Lachen, so wie sie es die meiste Zeit während unseres Spaziergangs macht. Zum Abschluss schießen wir noch ein paar Fotos im Park, bis Eunique wieder zurück ins Studio muss, um für die kommende Tour zu proben. Sie posiert selbstbewusst und cool, schwingt sich auf eine Mauer und verzieht dabei keine Miene. Vor der Kamera ist sie ein Profi. „Gerade habe ich eine Extra-Ladung Motivation in mir“, sagt sie noch, verabschiedet sich mit einer herzlichen Umarmung und eilt davon.