Soziales in Berlin

Wie obdachlose Frauen im Wedding Würde bewahren

Eine Frau sitzt in Berlin mit ihren zwei Hunden am Straßenrand. In Gesundbrunnen gibt es für Frauen ohne Obdach einen würdevollen Rückzugsort.
Eine Frau sitzt in Berlin mit ihren zwei Hunden am Straßenrand. In Gesundbrunnen gibt es für Frauen ohne Obdach einen würdevollen Rückzugsort. Zur Foto-Galerie
Wedding Zentrum - Die Tagesstätte "Evas Haltestelle" gibt Frauen, die auf der Straße leben, Kraft für den täglichen Überlebenskampf – und braucht selbst Unterstützung für das Nötigste.

Hannah ist ungefähr 40 Jahre alt. Sie wohnte mal in Nordrhein-Westfalen. Es gab Konflikte zu Hause, mit den Eltern, vielleicht mit einem Partner, so heftig, dass sie floh aus der Heimat. Hannah sitzt meist unauffällig am Tisch hinter der Eingangstür oder auf dem Sofa.

Viel mehr wissen Claudia Peiter und Stephanie Rose nicht von Hannah. Sie wollen es auch gar nicht wissen. Die Frauen, die zu „Evas Haltestelle“ in Wedding kommen, müssen nichts erzählen. Sie dürfen einfach nur kommen, sitzen, durchatmen, Kraft tanken, einen Platz finden, in dem das Gefühl, von Problemen erstickt zu werden, nachlässt. Am Tisch hinter der Eingangstür sitzen gerade acht Frauen. Sieben haben Kuchen vor sich, die achte strickt. Sie reden oder sie hören einfach nur zu. Sie dürfen einfach nur sie selber sein.

Bei „Evas Haltestelle“, der Tagesstätte für obdachlose Frauen, geht es auch um Würde. Es geht um Respekt für Menschen, die Respektlosigkeit als Alltagserfahrung haben. „Die Frauen, die hierherkommen, sind meist völlig entkräftet“, sagt Claudia Peiter, Sozialpädagogin wie ihre Kollegin Stephanie Rose. Claudia Peiter leitet „Evas Haltestelle“. „Die Frauen haben alles versucht, um ihr Schicksal zu meistern, sie haben sich teilweise hoch verschuldet. Erst wenn gar nichts mehr geht, kommen sie zu uns.“ Und selbst dann versuchen sie, Würde zu bewahren. Den Frauen, die hier am Tisch sitzen, sieht man ihre Not nicht an.

Es gibt auch Frauen wie Frieda, Opfer eines brutalen Ehemanns

Im Kern sind die Frauen zwischen 40 und 50 Jahre alt, es gibt aber auch 18-Jährige oder Frauen wie Frieda, Opfer eines brutalen Ehemanns. Er hatte Frieda wochenlang in der Wohnung eingesperrt. Ab und zu kam er vorbei, stellte Lebensmittel ab und verschwand dann wieder. Irgendwann konnte seine Frau trotzdem die Polizei alarmieren. Frieda ist 70 Jahre alt. Jetzt lebt sie in einem Projekt für betreutes Wohnen.

25 bis 40 Frauen kommen täglich, nicht alle sind obdachlos. Ein Teil lebt beim betreuten Wohnen oder in Obdachlosenunterkünften, aber ein Drittel lebt auf der Straße. Bei „Evas Haltestelle“ holen sie ihre Post ab, weil sie keine Meldeadresse haben, oder sie duschen, stecken ihre Kleider in die Waschmaschine oder genießen einfach die sozialen Kontakte. Jeden Mittwoch zum Beispiel im hinteren Teil der „Haltestelle“, wo ein langgezogener Holztisch steht, auf dem jetzt ein Adventskranz mit vier Kerzen liegt. Mittwochs treffen sich hier alle zum gemeinsamen Frühstück. Es gibt Frauen, die sitzen den ganzen Tag bei „Evas Haltestelle“. Und wer übernachten will, kann das auch, jedenfalls wenn er Glück hat. Zehn Betten gibt es, wer sich ab 18 Uhr zuerst meldet, darf bleiben.

Nicht selten sind die Frauen am Tisch Akademikerinnen

Manche Frauen schlafen hier tagsüber, zur Vorbereitung auf die Nacht. Abends steigen sie in die S-Bahn und fahren ziellos durch die Nacht. Andere müssen nachts auf Parkbänken liegen, immer mit der Angst, überfallen oder vergewaltigt zu werden. Ihnen gibt „Evas Haltestelle“ die Kraft zum täglichen Überlebenskampf. Einige erzählen ihre Geschichte, weil sie den Druck loswerden müssen. So erfahren Claudia Peiter, Stephanie Rose und die bis zu 20 ehrenamtlichen Helfer die Leidensphasen dieser Frauen. „Es sind kleine Mosaiksteinchen, die man zusammenfügt“, sagt Stephanie Rose.

Nicht selten sind die Frauen am Tisch Akademikerinnen. Bei „Evas Haltestelle“ spielt der Status keine Rolle, wer hier sitzt, den hat das Leben auf die gleiche Stufe gespült. Träger von „Evas Haltestelle“ ist zwar der Sozialdienst katholischer Frauen, aber auch Religion spielt keine Rolle. Ständiges Thema ist dagegen das Geld. „Evas Haltestelle“ lebt vor allem von Spenden. „Unser Budget ist so knapp, dass wir alles benötigen. Vom Shampoo bis zur Duschkabine“, sagt Claudia Peiter. Dann zeigt sie den kleinen Raum, in dem eine Waschmaschine rattert und neben einem Trockner die Duschkabine steht. Die Verkleidung ist noch abgeschraubt, weil mal wieder etwas repariert werden musste. „Eine neue Duschkabine kostet 2000 Euro“, sagt Claudia Peiter. Sie wäre dringend nötig, aber 2000 Euro würden das Budget sprengen. Der altersschwache Tisch müsste ja auch erneuert werden, dann noch der Fußboden, die Stühle, so vieles mehr.

Hannah nützt auch die Duschkabine, sie ist klassisch obdachlos. „Aber man würde ihr das nicht ansehen“, sagt Claudia Peiter. Hanna kann ihre Würde bewahren. „Evas Haltestelle“ hilft ihr dabei.

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Quelle: Der Tagesspiegel

Evas Haltestelle, Bornemannstraße 7, 13357 Berlin

Telefon 030 4623279
Fax 030 46066690

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