In einem eleganten, schwarzen Abendkleid betritt sie den Saal und geht beschwingten Schrittes zielsicher auf den glänzenden Steinway-Flügel in der Mitte des Raumes zu. Anastassiya Dranchuk ist erst 26 Jahre alt und schon jetzt eine große Konzertpianistin. 2001 zog sie auf Einladung der Hochschule für Musik Hanns Eisler aus Russland nach Berlin. Seither lernte sie bei hochrangigen Musikprofessoren, gewann mehrere internationale Wettbewerbe und trat an renommierten Konzerthäusern in ganz Europa auf.
Doch heute ist sie ganz hier: In dem alten Spiegelsaal über Clärchens Ballhaus, dessen morbider Charme an eine längst vergangene Zeit erinnert. Fast könnte man meinen, man befände sich in einem Stillleben des niederländischen Malers Ambrosius Bosschaert – so prunkvoll erscheinen die wunderschön arrangierten Blumensträuße in dem verfallenen Jahrhundertwendesaal. Warmer Kerzenschein und gut gekühlter Sekt verwöhnen zusätzlich die Sinne der Gäste. Aber das wirklich Herausragende an diesem Morgen ist und bleibt die junge Anastassiya Dranchuk.
Spiel mit Leidenschaft
Schon im ersten Stück von Wolfgang Amadeus Mozart, „9 Variationen über ein Menuett von Duport KV 573“, werden die Zuhörer emotional mitgerissen, so leidenschaftlich, ja fast zornig wütet Dranchuk über die Tasten des schwarzen Konzertflügels. Dabei trifft sie die von Mozart komponierten Variationen aus Harmonien und Dissonanzen äußerst präzise. Das an sich ist schon eine wunderbare Kunst, doch die Russin spielt ohne Noten und größtenteils mit geschlossenen Augen. Sie fühlt die Musik, taucht ganz ein und nimmt das Publikum dadurch mit auf eine musikalische Reise. Raus aus dem Alltag und hinein ins 18. Jahrhundert Mozarts oder die Wiener Salonkultur der Jahrhundertwende. Oder an jeden anderen Ort und jede andere Zeit, an die der Zuhörer von seiner von der Musik beflügelten Fantasie getragen wird.
Tatsächlich könnte man ihr ewig zuhören und zusehen, sodass auch Prokofjews Auszüge aus der Klaviersuite „Romeo und Julia“ im Nu verfliegen. Für Franz Liszt zieht Dranchuk sich in der Pause noch einmal um und erklärt den Gästen mit einem charmanten Lächeln, dass es der Mephisto Walzer Nr. 1 „Der Tanz in der Dorfschenke“ so in sich hätte, dass sie dabei besser Hosen tragen sollte. Kein Wunder, kennt man die Geschichte hinter dem Stück, das zu Liszts Zeiten verboten war. Denn darin erkennt sogar ein Laie die musikalische Darstellung eines Liebesakts, der nach Fausts leidenschaftlicher Nacht mit einer Frau aus der Dorfschenke in einem fulminanten und ohrenbetäubenden Orgasmus endet.
Die Klaviermatineen finden noch bis zum 20. Dezember 2015 immer sonntags statt. Tickets kosten 12, ermäßigt 8 Euro und sind im Vorverkauf unter http://tickets.ballhaus.de oder immer sonntags ab 10.30 Uhr an der Konzertkasse erhältlich. Die Vorstellungen beginnen jeweils um 11 Uhr. Es herrscht freie Platzwahl.