Was wie ein Aprilscherz klingt, bedeutet für die Region das Ende eines Krimis. Der begann vor 15 Jahren, als das Reifenwerk am Adlergestell nach fast sechs Jahrzehnten endgültig den Betrieb einstellte. Das 84 000 Quadratkilometer große Gelände verwahrloste. Windiges Gewerbe ließ sich nieder, Schrottautos verstopften die Freiflächen zwischen alten Werkhallen und Verwaltungsgebäuden. Dazu türmte sich immer mehr Abfall, darunter Sondermüll.
Im Frühjahr 2016 erste Bäume
Parallel gelang der Verwaltung, was auf anderen Brachen in privater Hand allzu oft scheitert: Sie eroberte die Kontrolle über den Schandfleck zurück. Mit Verweis auf die Trinkwasserversorgung und teilweise unter Polizeischutz wurden die illegalen Nutzer vertrieben und das Gelände verschlossen. Laut Flächennutzungsplan ist es formal Teil des umgebenden Waldes, die Lage in der Einflugschneise von Schönefeld verhindert Wohnungsbau, der Wasserschutz würde Gewerbe nur unter strengen Auflagen ermöglichen.
Mit dieser Ausgangslage im Rücken griff das Land bei einer Zwangsversteigerung im Frühjahr zu. Die Vorleistungen der Ämter konnten vom Kaufpreis abgezogen werden, so dass nach Auskunft von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) „ein fünfstelliger Betrag“ reichte. Der wurde auch aus Fördertöpfen von Land und EU bezahlt. Von den 4,3 Millionen Euro Gesamtkosten sind 3,8 Millionen förderfähig, sofern sie bis Ende dieses Jahres untergebracht werden. Von „heilsamem Zeitdruck“ ist deshalb in Geisels Verwaltung die Rede.
Schon im Frühjahr 2016 sollen die ersten Bäume wachsen: Ein „Vorwald“ aus Birken und Zitterpappeln, der den anderen – vor allem Eichen – später Schatten spendet. Der Stadtentwicklungssenator stellt Spaziergänge „unserer Enkel und Urenkel“ in Aussicht, während die altgedienten Mitarbeiter in Bezirksamt und Senatsbehörde froh sind, das Problem gelöst zu haben.
Kleiner Teil ist noch in privater Hand
Sie hoffen, nicht noch auf bisher unentdeckte Kontaminationen im Boden zu stoßen, die den Kostenplan sprengen könnten. Bisher gebe es keine Anzeichen, hieß es auf eine parlamentarische Anfrage im vergangenen Jahr.
Ein kleiner Teil des Areals ist zwar noch in privater Hand, aber auch für den rechnet sich das Land gute Rückkaufchancen aus. Im Hinblick auf Flächengröße und Begleitumstände sei der Fall des Reifenwerks stadtweit einmalig, heißt es. Die großen wiedergewonnenen Brachen der vergangenen Jahre – etwa der Park am Gleisdreieck – wurden einst meist von der Bahn genutzt, andere – wie die Spreeufer in Oberschöneweide – waren wegen Industrienutzung unzugänglich. Der Umweltatlas des Landes Berlin weist als größte Einzelfläche mit „Entsiegelungspotenzial“ das Tempelhofer Feld aus, gefolgt von Flächen in Gatow, Spandau und der „Parks Range“ genannten Wildnis in Lichterfelde-Süd.
Es geht nicht wirklich um Entsieglung
In vielen dieser Fälle geht es allerdings nicht wirklich um Entsiegelung, teilweise sogar ums Gegenteil: Sie wurden und werden nach der Öffnung für die Allgemeinheit teilweise bebaut. Weitere Flächen, die entsiegelt wurden oder werden können, sind kleinteilig über die Stadt verstreut.
Am schnellsten bei der Renaturierung des Schmöckwitzer Reifenwerks war die BVG, deren Tramlinie 68 („Uferbahn“) hier fährt: Auf dem BVG-Atlas von 2011 prangt das Haltestellenschild „Reifenwerk“ mit Bäumen im Hintergrund auf der Rückseite. „Wir lassen Sie nicht im Wald stehen!“, heißt es darunter. Im Dezember 2013 wurde die Haltestelle aufgegeben. Seitdem lässt die BVG die Leute hier stehen. Bisher noch vor Ruinen, aber bald im Wald.