Alltag mit Fahrrad

Auf Berlins Straßen lauern nur Irre und der Tod

Geisterrad in Berlin erinnert an eine 49jährige, die an dieser Brücke zu Tode kam
Letztes Jahr waren es 10 Radfahrer in Berlin, die bei eine Unfall starben.
Radfahren ist ja so gesund, zumindest wenn man es außerhalb Berlins macht. Denn in der Hauptstadt herrscht Krieg auf den Straßen. Es wird gepöbelt, geprügelt und überrollt. Ist das noch normal? Nun sagt ein Richter: Nein!

Wenn ich alle Beschimpfungen hier auflisten würde, die uns Fahrradfahrern täglich an den Kopf geworfen werden, käme der Text wegen jugendgefährdenden Inhalts auf den Index. Es ist kein Spaß, sich zwischen Reisebussen, eiligen Lieferwagen, orientierungslosen E-Rollern und aggressiven Autofahrern durch den Berliner Verkehr zu schlängeln. Vor allem, wenn alle denken: Rücksicht hält einfach zu lange auf. Und so sind wir Radler an allem schuld, sogar wenn wir uns an die Regeln halten, Licht einschalten und bei Grün über die Ampel fahren.

Karower Urteil

Zu unserer Ehrenrettung sprach ein Richter nun eine Berliner Autofahrerin wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung schuldig, weil sie eine Radfahrerin in Karow angebrüllt und geschnitten hatte. Ihr Pech: Das radelnde Opfer war Polizeikommissarin. Natürlich wäre ihr rabiates Verhalten auch gegenüber einer Zivilistin strafbar gewesen, aber die ordnungshütende Fahrradfahrerin wusste, was zu tun ist. Sie sicherte sich Zeugen und brachte den Vorfall ordnungsgemäß zur Anzeige. Und als das Verfahren wegen Belanglosigkeit eingestellt wurde, informierte sie mit Hilfe der Presse die Öffentlichkeit. Als Teil dieser Öffentlichkeit fragen wir uns: Wie kann es belanglos sein, dass eine Autofahrerin ausfallend und sogar handgreiflich wird, einen Menschen mit der Stoßstange wegschiebt, ein Fahrrad an den Straßenrand wirft und schließlich mit aufheulendem Motor davongejagt?

 

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Ein Beitrag geteilt von Hexlox (@hexlox) am Mai 4, 2018 um 7:14 PDT

Waffenschein statt Führerschein

Der Fall wurde wieder aufgerollt, mit Urteil abgeschlossen und die Autofahrerin bleibt trotz Schuldspruch uneinsichtig. Ehrlich gesagt: Uns wundert das nicht. Es scheint tatsächlich den meisten nicht klar zu sein, dass die unkontrollierte Wut eines Autofahrers einem Radfahrer das Leben kosten kann. Die Autos werden als Waffen eingesetzt, einen extra Schein braucht man dafür nicht. Ein Schlenker nach rechts, eine schnell geöffnete Autotür, ein sichtnehmender Falschparker und schon liegen wir samt Zweirad am Boden. Blöd nur, wenn wir nicht mehr aufstehen – wenn aus einem spontanem Belehrungsversuch ein Tötungsdelikt wird.

Radler sind auch nicht besser

Ja, und natürlich stimmt der Vorwurf, dass auch nicht alle Fahrradfahrer Engel sind. Es gibt solche, die nachts ohne Licht nicht nur ihr eigenes Leben riskieren und sich trotzdem verhalten, als gehören die Straßen ihnen allein. Es gibt auch solche, die auf Bürgersteigen Passanten anrempeln und Kinder in Grund und Boden fahren. Es gibt diejenigen, die meinen, Verkehrsregeln gelten nur für alle anderen oder glauben, dass sie auf ihr Recht sogar im toten Winkel eines LKWs beharren können. Zu dumm, dass sie viele Fehler nicht mehr einsehen können. Immerhin steht auf ihren Grabsteinen: „Ich hatte Vorfahrt.“

 

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Ein Beitrag geteilt von zeitlos-texten (@zeitlostexten) am Mai 21, 2018 um 8:21 PDT

Straßenkampf 2.0

Es gab schon unzählige Demos und Sternfahrten, Fahrradfahrer zeigten sich nackt, um auf ihre Verletzlichkeit aufmerksam zu machen, Kinder schockierten mit nachgestellten Unfällen, friedliche Luftballonaktionen brachten so wenig wie provokative Critical-Mass-Veranstaltungen, bei denen die Straßen für Autofahrer blockiert wurden. Der Streit findet nicht nur im Nahkampf auf der offenen Straße statt, sondern auch längst in den (un)sozialen Medien. Autofahrer machen sich bei Twitter Luft, Radfahrer pöbeln über Falschparker auf Facebook und dazwischen gibt es krasse Street-Fotos von beiden auf Instagram.

Nichts als Ärger

Was aber bei all dem Wahnsinn wirklich verrückt ist: Nicht einmal die Fahrradfahrer untereinander halten zusammen. Fährt man nicht schnell genug, wird man angefeindet (ist ja wirklich unverschämt), muss man anhalten (warum denn auch?), wird man über den Haufen gerollt, will man abbiegen (ey, Alter!), kann man nicht sicher sein, dass das jemanden interessiert. Einigen wir uns darauf, dass auf allen Seiten Irre sind. Ok, also wem bringt der selbstgerechte Straßenkampf eigentlich etwas? Es ist eigentlich Platz genug für jeden Verkehrsteilnehmer – sogar für Lastenräder, Touristen auf Leihrädern, verträumte Jungmütter in SUVs, Rentner in Kleinwägen, Machos in Sportwägen, semi-professionelle Radsportler… statt uns über alles aufzuregen, könnten wir es zur Abwechslung mit Berliner Humor versuchen: „Das ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen“, meinte nämlich schon der radelnde Moabiter Kurt Tucholsky.

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