Woran merkst du, dass du Berliner bist?
Du kennst dich nicht wirklich in der eigenen Stadt aus. Ich habe Freunde, die seit fünf Jahren hier wohnen, (fast alle – natürlich – im Friedrichshain oder Prenzlauer Berg) und genau wissen, wo die Hot Spots sind, wo man hinmuss und natürlich kennen sie sämtliche Bauwerke Schinkels plus Baujahr. Vielleicht ist es die typische pragmatische Ignoranz der echten Berliner, die dazu führt, dass wir uns mit der Stadt nur peripher auseinandersetzen. Aber ich möchte das heute ändern und buche zusammen mit einer Freundin eine Sightseeing Tour bei Fat Tire Tours unterm Fernsehturm.
„Fette Reifen!“ Diese Tour machen wir mit dem Fahrrad! Sie wird etwa vier Stunden dauern und mich teilweise sehr beschämen. Denn unser Stadtführer heißt Kieran und kommt aus Dublin. Und er kennt sich verdammt gut aus in dieser Stadt. Ich lerne so viel Neues, dass ich hätte mitschreiben müssen, um mir alles zu merken, was ich noch nicht wusste. Jeden geschichtlichen Fakt, jede architektonische Information und vor allem die vielen Anekdoten.
Vom Alex durch den Tiergarten und zurück
Außer meiner Freundin und mir wohnt niemand aus der Gruppe in Berlin. Nur eine Deutsche ist dabei. Viele Engländer. Wir sind etwa 13 Leute und schwingen uns auf die Räder. Und hier wird schnell klar, Optik ist nicht alles. Die Dinger sehen ziemlich oll aus. Sie sind aber unfassbar bequem und fahren sich, als würde man über Buttercreme gleiten. Ist ja auch sinnvoll, bei so langen Touren.
Ich habe gedacht, dass wir kleine Knöpfe ins Ohr gesteckt bekommen, über die wir die Informationen bekommen. Es ist aber viel einfacher. Wir fahren, wir halten, Kieran erzählt. Wenn er fertig ist, fahren wir, halten wieder, lassen uns Geschichten und Geschichte erzählen. Seine Stimme ist laut und kräftig. Wir fahren an den wichtigsten Bauwerken der Stadtmitte vorbei, knipsen und lauschen. Berliner Dom, Gendarmenmarkt, Führerbunker an den Ministergärten, Denkmal für die Ermordung der Juden Europas. Hier steigen wir ab und laufen zwischen den Stelen herum. Komisch, dass ich das noch nie gemacht habe. Das Gefühl der Enge und der Unsicherheit ist fürchterlich, ich muss schnell wieder raus. Ich möchte eine Weile nicht sprechen, so geht es den anderen auch. Wir stehen noch etwa fünf Minuten bei den Rädern, atmen, fahren dann weiter.
Es fängt an zu schütten wie aus Kübeln. Jeder von uns hat einen Regenparka bekommen – im Grunde eine große, durchsichtige Plastiktüte mit Kapuze und Löchern für die Hände, aber sie erfüllt ihren Zweck – und wir radeln durch Pfützen und haben regennasse Gesichter. Gefahren wird tatsächlich bei jedem Wetter, außer bei Schnee und Glätte.
Chaotisch wird es am Checkpoint Charlie. Wenn man in so einer großen Gruppe unterwegs ist und den Anschluss nicht verpassen will, achtet man natürlich mehr auf den Vordermann als auf den Verkehr und die Passanten. Wir kriegen recht häufig den Vogel gezeigt oder werden angehupt. Bloß raus aus den lauten Straßen, aus dem Bienenstock, dem Ameisenhaufen. Dem Lachen, dem Knipsen, dem Stau, dem Trubel. Rein in den Tiergarten. Der wunderschön und sauber ist. Ist das immer so?? Ich versuche mir vorzustellen, ich sei Tourist in dieser Stadt. Ich wäre extrem geflasht. Wunderschöne, prächtige Gebäude, Großstadtflair, und plötzlich diese Stille, der Duft des Grases und der Bäume, alles wirkt so gepflegt. Berlin ist eine gute Stadt für einen Urlaub. Selbst, wenn man Berliner ist.
Zwischendurch kehren wir in den Schleusenkrug am Zoo ein. Auch hier war ich ewig nicht! Wir bestellen Deftiges vom Grill und sitzen trotz Regen in diesem schönen Biergarten am Wasser, die Markisen und Schirme sorgen dafür, dass wir nicht nass werden.
Nach über vier Stunden sind wir zurück am Fernsehturm
Ich gebe Lola Montez schweren Herzens wieder ab. Mein Fahrrad ist mir ans Herz gewachsen in der kurzen Zeit. Und ich habe es, auch wenn alle Räder gleich aussehen, immer schnell finden können, weil alle Räder so hübsche Namen haben wie meins und sich so auseinander halten lassen.
Ich habe viel gelernt heute. Über meine Stadt, die ich gar nicht so gut kenne, wie ich immer denke. Ich empfehle auf jeden Fall einen Ausflug mit Gästen, die nach Berlin kommen. Es gibt so viele tolle Touren, auch mit E-Bikes oder Segways. Und wer Angst vorm Iren hat – weil er die Sprache nicht versteht – es gibt auch Touren auf Deutsch.