Als die ersten Bewohner der Falkenberg-Siedlung früher zu ihren Straßenfesten zusammenkamen, sangen sie die Falkenberg-Hymne und führten Theaterstücke auf. Um den Siedlungsarchitekten Bruno Taut auf ironische Weise zu ehren, hissten sie bei Umzügen die sogenannte Tautfahne. Sie zeigt ein Haus, so schief wie Lindgrens Villa Kunterbunt, direkt neben einen Baum und umringt von roten, weißen, beigen und schwarzen Flecken. Wahrscheinlich wegen der Farben, die Taut beim Gestalten seiner Hausfassaden so großzügig einsetzte.
Die Wohnsiedlung sollte den Stadtbewohnern in Grünau eine „Stadt-Land-Synthese“ mit frischer Luft und viel Licht bieten, quasi eine Flucht aus der Mietskaserne. Kurz nach der Einweihung der Siedlung 1913 bekam sie auch schon den Beinamen „Tuschkastensiedlung“ verpasst. Weil jedes der bescheidenen Mehrfamilien- und Reihenhäuser durch eine unterschiedliche Farbgebung vom Nachbarhaus abgesetzt ist. Auch weil Taut Veranden, Fensterläden, Balkonbrüstungen und Gesimse so expressiv Gestalt verliehen hat, dass die Häuser zwischen den kleinen Obstgärten beinahe wie Gemälde wirkten – was sie dank liebevoller Rekonstruktionsarbeit in den neunziger Jahren heute wieder tun. Sogar bei Regen.
Die Siedlung blieb kleiner als geplant
Etwa ein Dutzend Wohnanlagen hat der Architekt und Städteplaner Bruno Taut von 1920 bis 1933 in Berlin entworfen, zusammen über 10.000 Wohnungen. Die Falkenberg-Siedlung, seine erste, ist die intimste und vielleicht auch heiterste darunter. Zu ihr gehören gerade einmal ein gutes Dutzend Häuser um einen kleinen, mit Bäumen bepflanzten Platz herum, dem „Akazienhof“, und die verspielt vor- und zurückhüpfenden Reihenhäuser an dem Sträßchen nebenan, dem Gartenstadtweg. Jedes der Häuser ist in Nord-Süd-Ausrichtung angeordnet, so dass die Räume den ganzen Tag im Tageslicht aus Osten und Westen liegen.
Anfänglich waren für 7.500 Bewohner 1.500 Wohnungen geplant, weil aber der Krieg begann, verwirklichte man nur 128 Wohnungen. Das Intime, das Überschaubare entsprach einerseits den Häuschen, andererseits dem offenen, durchaus auch ein wenig elitären, konspirativen Geist der ersten Bewohner. Lokomotivführer, Handwerker mit „Weltbühnen“-Abo, Künstler, Studienräte, Dichter des Friedrichshagener Kreises zogen hier ein. 135 Familien samt 92 Kindern.
Aus dieser Siedlung zieht man nicht weg
Die Gartenstadt galt als Reformprojekt und war beinahe so etwas wie die erste Townhouse-Gemeinschaft Berlins. Alle Mieter kauften Anteile einer Genossenschaft und bekamen ein Mitspracherecht beim Thema Grundrissgestaltung dazu. Taut und sein Mitstreiter, der Gartenarchitekt Ludwig Lesser, mussten ihre Entwürfe bei Versammlungen abnicken lassen. Die Selbstbestimmung war Spielwiese, Abenteuerspielplatz. Man organisierte Ausschüsse und Gruppen, es herrschte wohl eine regelrechte Aufbruchsstimmung, die auch in den Erzählungen des Bewohners Max Rasokat noch nachhallt.
Im Akazienhof 5 sitzt Rasokat in seiner kleinen Küche und sagt: „Zu den Festen kamen bis zu 4.000 Besucher. Alle Türen waren damals offen. Einmal ging meine Großmutter hoch ins Bad – da saß eine fremde Dame in der Badewanne. Sie hatte sich kurz frisch machen wollen.“ Max Rasokat, Jahrgang 1945, ist so etwas wie das kollektive Gedächtnis der Falkenberg-Siedlung. Seit 65 Jahren wohnt er hier. Vor ihm hatte bereits seine Mutter mit ihren Eltern hier gewohnt, die 1913 mit als erste Mieter kamen. Ums Eck, in einem der Gartenstadtweg-Häuser, lebt auch sein Sohn mit seiner Familie. „Aus der Falkenbergsiedlung zieht niemand weg“, sagt Max Rasokat. 2008 wurde sie zusammen mit drei anderen Berliner Taut-Siedlungen zum Weltkulturerbe erklärt.
Unter Denkmalschutz
Die Wohnanlage hatte den Krieg unbeschadet überstanden, aber der Lack war erst mal ab, in der DDR blieben die Fassaden blass. 1977 erhielt das Ensemble Denkmalschutz, eine erste Instandsetzung fand statt, aber die Farben waren, so heißt es dezent in einer Broschüre, lediglich begrenzt haltbar, sie blichen nach kurzer Zeit aus oder verwischten. Erst zu Beginn der neunziger Jahre nahm ein Taut-Spezialist, der Architekt Winfried Brenne, im Auftrag der Wohnungsgenossenschaft die Wiederherstellung in Angriff. Nun sind die Fassaden schwarz mit roten Fensterrahmen, auch strahlend blau oder mit blau-gelben Mustern versehen wie das Feld eines rätslehaften Brettspiels.
Max Rasokat blickt durch das Doppelkastenfenster Richtung Stichstraße, wo eine Robinie wächst. Noch immer regnet es. Um die märchenhafte Wirkung der Anlage zu erfassen, muss man sie selbstverständlich erlaufen. Er deutet auf den Regenschirm.