Unsane – Ausgeliefert (Kinostart 29. März)
Einer meiner absoluten Berlinale-Favoriten. Warum? Unsane ist ein packender Psychothriller, der einen in den Sitz versinken lässt und dabei das US-amerikanische Gesundheitssystem als Stoff für Horrorvorstellungen nutzt. Worum geht’s? Die junge Sawyer Valentini (Claire Foy) hat recht überstürzt ihre Heimatstadt Boston verlassen und arbeitet nun in einer Firma in Pennsylvania. Ihr Alltag wirkt trist: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, nervige Kollegen und Telefonate mit ihrer Mutter, in denen sie versucht, die Fassade einer heilen Welt aurfrechtzuerhalten. Als sie bei einem Tinder-Date eine Angstattacke bekommt, sucht sie Hilfe bei einer psychiatrischen Beratung. Es folgt eine Angstspirale nach unten. Denn gegen ihren Willen wird Sawyer für sieben Tage eingewiesen. Ohne Handy, gezwungen, Tabletten zu schlucken und sich dem Klinikalltag zu beugen samt den Kontakt mit anderen Patienten, trifft sie auf den Grund für ihre Angst, nämlich ihrem Stalker – oder ist das alles nur Einbildung?
Der Regisseur Steven Soderbergh hat nicht nur eine gesunde Abneigung gegen das System Hollywood, er schafft es auch seinen Independent-Wurzeln treu zu bleiben, trotz Blockbustern wie Oceans Eleven. Bereits seit zehn Jahren dreht Soderbergh mit digitalen Kameras, nun geht er einen Schritt weiter und hat Unsane komplett mit einem iPhone gedreht. Während einer Berlinale-Pressekonferenz nannte Schauspieler Joshua Leonard einige Vorteile dieser Drehmethode. Da der Umgang mit dem Handy so alltäglich sei, würde man es schnell als Medium vergessen und könnte direkt in die Schauspielarbeit eintauchen, ohne eben noch auf die Technik warten zu müssen, so der aus Blair Witch Projekt bekannte Schauspieler.
Sicher ist, die Art der Produktion zieht einen nicht aus der Story raus, ganz im Gegenteil. Durch die Nahaufnahmen und einzigartigen Perspektiven ist man sehr involviert, was da vor einem geschieht. Good to know: Die Drehbuchautoren James Greer und Jonathan Bernstein haben sich auch von Selbsterlebten inspirieren lassen. Während der Pressekonferenz erläutern sie, dass psychiatrische Einweisungen von Patienten keine Seltenheit in den USA sei, weil die Krankenversicherung den Aufenthalt übernehme. Ob nun notwendig oder nicht könne hinterfragt werden, da solche Einrichtungen Geld verdienen wollten, so wie jedes andere Geschäft auch.
Mute (seit Februar auf Netflix)
Duncan Jones kehrt mit Mute zurück nach Berlin, wo er selbst als Kind gelebt hat und sein Vater David Bowie drei Alben – die sogenannte Berliner Trilologie mit Low, Heroes und Lodger – aufnahm. Mehr als zwölf Jahre hat Jones, der mit dem SciFi-Drama Moon (2009) und dem Thriller Source Code (2011) bereits zu überzeugen wusste, an dem Stoff für Mute gearbeitet. Herausgekommen ist einer der mutigsten Filme seit Langem, der so im SciFi-Kosmos herumschwirrt, aber dazu gleich mehr. Zunächst einmal die Story: Der Barkeeper Leo (Alexander Skarsgård) verlor bei einem Unfall in seiner Kindheit seine Stimme. Im Jahr 2052 arbeitet er nun zusammen mit seiner Freundin Naadirah (Seyneb Saleh) in einem aufregenden Berliner Nachtclub namens Foreign Dreams. Während draußen fliegende Autos schwirren, hat Leo ganz im Sinne seines anerzogenen amischen Lebensstils noch nicht mal ein Handy. Als er nach einer gemeinsamen Nacht mit Naadirah aufwacht, ist diese spurlos verschwunden. Bei seiner Suche trifft er auf die beiden US-amerikanischen Ärzte Cactus Bill (Paul Rudd) und Duck Teddington (Justin Theroux), die sich mit dem Zusammenflicken von Gangstern was dazu verdienen und auf andere skurrile Gestalten, die Roboter-Pornografie betreiben – doch was hat das alles mit Naadirah zu tun?
Der Film hat laut der bekannten Kritikerplattform Rotten Tomatoes auf ganzer Linie versagt, dem muss ich deutlich widersprechen und daran erinnern, dass Blade Runner auch erst keine Fans hatte und jetzt ist es ein anerkanntes Meisterwerk. Ähnlich wie beim Film aus 1982 gibt es auch bei Mute Film Noir-Züge. Dabei treffen Unterwelt-Gangster auf Amish und Pädophilie ist auch noch im Spiel. Diese Verstrickungen bieten ein spährisches, anderes Kino. Zugegebenermaßen ist der Erzählstrang rund um Cactus Bill erst ein wenig unzugänglich und wir würden gern mehr über die Figur Leo erfahren, aber auch von Sam Bell (Moon) erfahren wir nicht viel und fühlen trotzdem sein Schicksal. Das ist bei Leo nicht anders. Hut ab Alexander Skarsgård, der ohne verbale Hinweise seine Verzweiflung und Hingabe bei seiner Suche nach seiner Geliebten toll spielt ohne gekünstelt zu wirken oder es mit den Gestik und Mimik zu übertreiben.
Besonders gelungen ist das zukünftige Berlin. Keine perfekt polierte Welt, sondern dunkle Ecken mit leuchtenden U-Bahn-Schildern, die auf Restaurants mit Drohnenlieferservice und normale Jeeps treffen, ganz ohne Flugmodus. Da ist doch Berlin top getroffen – die Gegensätze machen die Stadt aus. Bekannte Ecken gibt es zuhauf im Film, ob nun die Tausend Bar am Schiffbauerdamm oder der Kotti. Der ist vergleichsweise gut zu erkennen und das Café, in das es Leo verschlägt, sieht mehr nach 2018 aus, also optisch wenig spektakulär. Nach amerikanischer Sicht gibt es in Deutschland der 2050er Jahre Spiegel TV als 24-Stunden-Show im TV mit Sam Rockwell als Host – der darf einfach bei Duncan Jones nicht fehlen. Insgesamt sind die optischen Parallelen zu Blade Runner da, aber es sieht dann doch ganz anders aus und das macht Mute wieder richtig gut! So ist beispielsweise Leos Wohnung mit den bayrischen Bierkrügen und dem rustikalen Stil etwas was man im Ridley Scotts Klassiker wohl nie gefunden hätte. Absolute Watch-Empfehlung!
Lucky (Kinostart 8. März)
Es passiert eher selten, dass mich ein Trailer überzeugt in einen Film zu gehen, aber eben das ist bei Lucky passiert. Der Film ist das Regiedebüt des Schauspielers John Carroll Lynch, der damit seinem 2017 verstorbenen Kollegen Harry Dean Stanton ein Denkmal setzt. Es ist keine Doku über den wohl eindringlichsten Nebensteller (Twin Peaks, Alien) überhaupt, trotzdem gibt es einige Parallelen zwischen dem Schauspieler und der Figur Lucky. So sind beide Atheisten, lieben Cowboy-Hüte und Kreuzworträtsel. Die Story hat neben Lucky zahlreiche schräge Charaktere zu bieten, die zu dem eigenbrötlerischen 90-Jährigen passen wie Milch zu Schokokeksen. Lucky lebt irgendwo in einem kleinen Wüstenstädtchen und verbringt seinen Tag gerne in weißen Unterhosen und Unterhemd. Yoga, Bloody Marys trinken und Kettenrauchen gehören zu seinen liebsten Beschäftigungen genauso wie mit dem örtlichen Arzt zu streiten. Obwohl der grummelige Mann sich wohl eher selbst erschießen würde als Smalltalk zu führen, ist er bei den Stadtbewohnern (David Lynch!!) beliebt.
Diese schrullige Story, die nicht mit Action aber tollen Charakteren glänzt, bekommt noch eine andere Richtung als Lucky einen Unfall hat. Der rüttelt den routineliebenden Mann so sehr auf, dass er sich mit der eigenen Einsamkeit und Sterblichkeit auseinandersetzt. Dabei nimmt der Streifen dies aber zum Anlass gerade die Freude und Liebe in Luckys langen Leben zu feiern.
Call Me By Your Name (Kinostart 1. März)
Der Film von Luca Guadagnino ist eine ergreifende, alle Sinne einbeziehende Coming-of-Age-Geschichte, bei der man am Schluss nicht so ganz die einzelnen Szenen im Kopf hat, sondern ein Gefühl von zärtlicher, erster Liebe voller geballter Emotion. Diese filmische Übersetzung in Call Me By Your Name ist es wohl, die weltweit Kritiker von dem Film überzeugt und die Oscarnominierung für den besten Film nach sich gezogen hat. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman (2007) und schafft für den Zuschauer eine zweifache Entführung: Zum einen in dieses wunderschöne Ferienhaus in Norditalien, dass diese Zeit im Sommer mit der Familie festhält, romantisiert und sie zu einem Erlebnis macht, das man nicht missen möchte, zum anderen in die Entdeckung von eigenen Neigungen und ihren Kampf mit ihnen.
Es ist das Jahr 1983 als der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) erneut mit seinen Eltern in ein Haus voller antiker Möbel, Bücher und dem heiß geliebten Klavier für die Sommermonate zieht. Es duftet nach frisch gemachter Pasta und reifem Obst. In dieser Szenerie taucht der Doktorand Oliver (Armie Hammer) auf, der bei Elios Vater seine Forschungsarbeit schreibt und nun die Familie besucht. Sind es seine strahlenden blauen Augen, die gestählten von der Sonne gebräunten Beine oder Olivers Fähigkeit sich überall sofort Freunde zu machen? Das ist schwierig zu ergründen. Klar ist jedoch, da sind diese elektrisierenden Berührungen, Küsse und Worte, die sich in Elios und Olivers Gedächtnis einbrennen.
Diese alles übergreifende Anziehung, die von der Leinwand direkt auf den Zuschauer übergeht, dass macht eine große filmische Liebesgeschichte aus und macht Call Me By Your Name schon jetzt zu so einem Klassiker in diesem Genre. Besonders ist die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Das Damoklesschwert des drohenden Konflikts bei gleichgeschlechtlicher Liebe mit den lieben Erziehungsberechtigten schwingt bei diesem Film nicht, was nichts anderes bedeutet, als da trifft ein Vater voller Verständnis und Respekt auf die Gefühle seines Sohnes – ganz, ganz groß! Wir drücken für die Oscars die Daumen.