9 Uhr morgens am ehemaligen Rathaus Wilmersdorf. Mehrere Security-Männer stehen am Eingang der Brienner Straße 16. „Ich bin zur Kinderbetreuung hier“, sage ich dem freundlichen Herrn, der eine Liste verwaltet, in die sich eintragen muss, wer das Gebäude betritt. Ich bin Nummer acht an diesem Tag und werde zur offiziellen Anmeldung in den kleinen Raum links neben dem Eingang geschickt. Eine junge Mutter mit Baby auf dem Schoß begrüßt und bittet mich, meine Personalien in ein Formular einzutragen. „Ach, ich bin auch für die Kinderbetreuung angemeldet“, sagt eine Frau neben mir. Nach dem Papierkram machen wir uns mit Namensschild und einem Schlüssel ausgestattet auf den Weg zur unserer Arbeitsstätte. Meine neue Kollegin war schon einmal hier und kennt den Weg durch das Gebäude, in dem momentan etwa 800 Flüchtlinge leben.
Es geht vorbei am Medizinzimmer, am Lager für Spielsachen, am Frauenzimmer … Alle Aushänge sind mit Zetteln in arabischer Schrift versehen. An den Wänden im Flur der 3. Etage wird es bunter: Dort hängt ein großes Transparent mit der Silhouette des Fernsehturms, darüber steht in Kinderschrift „Refugees Welcome!“. Wir sind angekommen.

Kommunikationshilfen finden sich überall im Raum.
Foto: QIEZ - ©Susanna Gotsch
Das Kinderzimmer ist freundlich eingerichtet: Kuschelecke, Regale mit Brettspielen und Büchern, eine Spielküche – es könnte auch die Kita um die Ecke sein. Wären da nicht all die Listen und Hinweise für die Betreuer. Neben Floskeln zur Begrüßung stehen darauf auch Vokabeln wie „Tadrub“ („Nicht schlagen!“), „Uskut“ („Ruhe!“) und „Khalass“ („Es reicht!“). Im Laufe des Vormittags wird klar, warum die Ausdrücke in besonders großen Lettern an der Tafel geschrieben stehen. Zunächst versuche ich mir „Schu esmek“ zu merken. Bei den ersten Kindern, die neugierig den Raum betreten, komme ich noch dazu, nach dem Namen zu fragen. Doch so schnell wie sich der Raum füllt, gerät die Vokabel wieder in Vergessenheit. Ebenso die Namen der Kinder, deren Zahl zwischen 20 und 30 schwankt und die etwa zwischen zwei und 13 Jahre alt sind.
Zwischenzeitlich herrscht Ausnahmezustand im Raum. Die leeren Streichholzschachteln, die die Kollegin zum Basteln mitgebracht hat, geraten in das Visier einiger Jungen. Statt daraus eine Behausung für die selbstgebastelten Püppchen werden zu lassen, wollen sie damit lieber zündeln, typisch für das Alter. Die Heißklebepistole wird ebenfalls zweckentfremdet und verschwindet daher schnell wieder im Schrank. Da hilft es auch nicht, „Khalass“ zu rufen. Schade, denn etwas Bleibendes zum Mitnehmen zu schaffen, wie es unser Anliegen war, gelingt nur drei Mädchen. Und auch nur solange, bis zwei Männer neue Kartons mit Spielsachen bringen. Puzzle, Barbies und Matchbox-Autos sind eben viel spannender – und bringen ausnahmslos alle Kinderaugen zum Strahlen.

Bastelspass, der in eine kleine Streichholzschachtel passt.
Foto: QIEZ - ©Susanna Gotsch
Genauso wie Musik. Sie ist eine Sprache, die jeder spricht und die jeder versteht. Als eine Frau mit Gitarre den Raum betritt, wird sie jubelnd von den Kleinen begrüßt und wir Betreuer freuen uns über die kleine Verschnaufpause. In Reihe und Glied bauen sich die Knirpse vor ihrem Stuhl auf. Das Lied, welches sie anstimmt, können die meisten Kinder mitsingen. Ein Junge breitet seine Arme aus und trällert ausgelassen „Die Sonne scheint …“, das Mädchen auf meinem Schoß klatsch vergnügt in die Hände und der junge Mann, der sich zu uns an den Basteltisch gesellt hat, singt die Farben mit: grün, pink, gelb. „Mein Anliegen ist es, die Kinder und ihre Eltern spielerisch an unsere Sprache heranzuführen“, sagt die Musikerin. Leider bleiben ihr an diesem Morgen dafür nur ein paar Minuten, dann muss sie schon wieder zum nächsten Termin.
Wie viele Helfer schaut sie regelmäßig in der Wilmersdorfer Unterkunft vorbei, jeden Montag. Vor allem Kindern tut diese Kontinuität gut, obgleich keines von ihnen Probleme mit Neulingen wie mir zu haben scheint. Mit dem Zügeln der eigenen Energie schon eher. Viel lieber wäre ich an diesem sonnigen Tag mit den Kindern nach draußen gegangen, um sie rennen und toben zu lassen. Doch das ist angesichts der Gruppengröße nicht möglich. Bleiben vorerst „nur“ die Spielvormittage …
Eine Übersicht über weitere Möglichkeiten, Flüchtlingen zu helfen findest du hier.