Hast du einen deiner Freunde auch schon mal sagen hören: „Ich versuche jetzt die Kohlenhydrate wegzulassen?“. Oder einen TV-Chef, der davon spricht, dass das Gericht jetzt nur noch etwas Protein benötigt? Ich selbst hasse Kalorien. Ich möchte beim Essen nicht darüber sprechen oder darüber nachdenken, wie viele Kalorien oder sonstige Nährstoffe ich gerade zu mir nehme, ob das, was vor mir liegt nun gerade gesund ist oder nicht. Zumal es aus wissenschaftlicher Sicht ziemlich idiotisch ist, ein Lebensmittel als „gesund“ oder „ungesund“ zu betiteln. Dieser Weg, über unser Essen zu sprechen, bereichert weder unsere Esskultur, noch macht es uns gesünder.
Wo bringt uns dieser Weg über unser Essen zu sprechen hin? Was nützt uns die stetige Konversation über Kalorien, Kohlenhydrate, Eiweiß und Co.? Für den Großteil, der kein solides Basis-Ernährungswissen besitzt und somit diese Bestandteile nicht ohne Verunsicherungen einordnen kann, läuft das Ganze ins Leere. Es entfernt uns von den wichtigsten Aspekten unseres Essens, dessen Herkunft, Qualität und dem sozialen Faktor. Im Gegenteil! Es verunsichert den Ottonormalverbraucher und verändert keine grundlegenden Essgewohnheiten. Die Leute essen weiterhin das Gleiche, nur dass ein Großteil jetzt ein schlechtes Gewissen dabei hat und der andere Teil fast paranoid Angst vor „ungesundem“ Essen.
Mit dieser Art über unser Essen zu sprechen, können wir nun Dinge sagen wie: „Blattspinat ist total nährstoffreich!“. Dabei vergessen wir, dass ein Großteil vom Blattspinat durch lange Liefer- und Lagerzeiten signifikant weniger Nährstoffe besitzt und Gemüse, das auf sterilem, teils belastetem Boden angebaut wird, nährstoffreich beraubt ist. Wir können eine Packung Lachs aus Aquakultur in unseren Einkaufswagen werfen und davon ausgehen, dass dieser im Wesentlichen ernährungsphysiologisch dasselbe wie Wildlachs wäre.
Fleisch ist nicht gleich Fleisch und Gemüse ist nicht gleich Gemüse
Mit dieser Art, über unser Essen zu sprechen und an solche Absurditäten zu glauben, oder schlimmer, unser Essen gedankenlos als reflexartige Gewohnheit zu kaufen, gibt man Marketingmaßnahmen schnell den Raum, jedes noch so billig produzierte Produkt vielfach zu verkaufen und das auch noch in dem Glauben, uns damit etwas Gutes zu tun. Warum sollte es so nicht theoretisch möglich sein, uns dazu zu bringen, hundefutterähnliches Essen zu essen, getarnt in einer Müsli-Verpackung, die weniger Kohlenhydrate und mehr Eiweiß verspricht und mit einem Bio-Label um die Ecke kommt?
Natürlich ist das überspitzt. Betonen möchte ich, dass diese Art über unser Essen zu sprechen nicht die rapiden Zivilisationskrankheiten und Gesundheitskosten drosseln wird und uns den wichtigsten Aspekt des Essens raubt – gemeinsam köstliches, selbstgekochtes Essen bei guten Geschichten zu genießen. Denn das ist, was zählt und einen fühlen lässt, dass man am Leben ist. Hier sei noch eine kleine Ode an Paul Bocuse angebracht: „Eine wahrhaftig gute Küche besteht zu 90% Prozent aus hochwertigen und frischen Zutaten und zu 10% aus Phantasie.“
Leider aber haben viele Menschen das Essen verlernt und können nur noch Schlucken, wie es der Jahrhundert-Koch Bocuse zu sagen pflegte Solange auf Raststätten und in Kantinen weiterhin die Wahl zwischen in Fett triefenden Würstchen oder Süßigkeiten besteht und gesunde Essgewohnheiten nicht strukturell gefördert werden, wird sich grundlegend an dieser in den Abgrund kreisenden Spirale nichts ändern.
Wenn wir jedoch fit für eine immer anspruchsvollere Zukunft sein wollen, einer Welt in der mehr Kreativität denn je gefragt ist, dann benötigt es ein Umdenken und einen infrastrukturellen Wandel, der gesunde Essensgewohnheiten und einen dazugehörigen gesunden Lebensstil fördert. Dazu müssen industriell produzierte Lebensmittel nicht einmal verteufelt oder bestraft werden. Nichts ist schlimm an einem Schokoriegel, mal einer Tüte Chips oder Fast Food, solange diese nicht den Großteil unsere täglichen Kalorien ausmachen.
Wir sollten uns im Großteil der Zeit jedoch an die Worte des großen Paul Bocuse erinnern und uns weniger von Diätgurus à la „iss die Hälfte“ verrückt machen lassen. Essen ist schließlich weitaus mehr als Kalorien, Kohlenhydrate oder Eiweiß.
Mahlzeit!
Florian Kaminski trainierte auf der erfolgreichsten Sport-Eliteschule Deutschlands sowie am Olympiastützpunkt in Saarbrücken und ist Gründer von Foodoholic, einem digitalen Ernährungsmagazin. Auf dem Blog und dem dazugehörigen Instagram-Account wird der verlorengegangener Genuss am Essen mit gesunder Ernährung zusammengeführt – ohne Verzicht oder rigidem Essenswahn.