In regelmäßigen Abständen erfasst das Fußballfieber die Hauptstadt. Vor öffentlichen Leinwänden, am heimischen Fernseher, allein oder in der Gruppe wird bei EM und WM mit der deutschen Fußballnationalmannschaft gelitten und gejubelt. Welchen Einfluss die Fußballbegeisterung auf das Gemeinschaftsgefühl der Deutschen hat, wird derzeit an der Freien Universität von Soziologen, Neurowissenschaftlern und Psychologen untersucht.
Es soll versucht werden, eine Verstärkung des Wir-Gefühls durch kollektive Sport-Erlebnisse nachzuweisen. „Wir untersuchen, wie kollektive Identitäten entstehen und verankert werden“, so der Leiter der Studie Sven Ismer.
Bereits bei der vergangenen Fußball-Weltmeisterschaft waren die Forscher am Werk. Die Ergebnisse: Je stärker mit dem deutschen Team mitgefiebert wurde, desto höher fiel nach dem Turnier die Identifikation mit Deutschland aus. In diesem Zusammenhang steigerte sich auch die positive Einstellung gegenüber schwarz-rot-goldenen Symbolen. Allerdings wurden „bestimmte Gruppen abgewertet“, so Ismer. Nach der Weltmeisterschaft hätten sich in den untersuchten Gruppen Homophobie und die Ausgrenzung von Behinderten deutlich erhöht.
Kollektiver Fußballrausch
Die kommende EM soll nun weitere Messdaten und Ergebnisse liefern. Im Rahmen der Studie „Kollektive Emotionen und nationale Identifikation“ werden die interdisziplinären Forschungen zum Nationalgefühl vorangetrieben. Ziel ist eine gemeinsame Publikation von Sozialwissenschaftlern, Psychologen und Hirnforschern.
Der beteiligte Psychologe Stefan Schulreich führt seine Untersuchungen im Rahmen des Spiels Deutschland-Portugal am 9. Juni durch. In zwei gemischte Versuchsgruppen werden die Freiwilligen eingeteilt. Eine von ihnen verfolgt das Spiel und die EM intensiv, die andere nimmt an dem sportlichen Event keinen Anteil. Fragebögen und ein spezielles Computerprogramm sollen anschließend darüber Auskunft geben, wie sich das gemeinsame Fußballschauen auf Gefühle und Entscheidungen der Testpersonen auswirkt. Für die Studie werden derzeit noch Testpersonen gesucht. Sie dürfen sich auf bis zu 45 Euro für ihren Einsatz bei der EM freuen.
An einer Online-Studie können sich zudem mehrere hundert interessierte (Nicht-)Fußballfans beteiligen. Dabei sollen sie angeben, wie stark ihre Identifikation als Deutscher oder Deutsche vor dem Turnier ist, und ob sie nach der EM ein erhöhtes Gemeinschaftsgefühl empfinden und eventuell bereit sind, mehr Abgaben für das Sozialwesen zu leisten. Für Sven Ismer führt die EM zu einem stärkeren Zusammenhalt innerhalb Europas.
Anmeldung und Teilnahme: stefan.schulreich@fu-berlin.de
Online-Umfrage: http://www.unipark.de/uc/D_und_EU/