„Nico, Paula, Kevin und Ole haben mir ihr Berlin gezeigt, mich in ihre Welt genommen und ich lernte, dass sich ihre Wünsche und Sehnsüchte gar nicht sehr von meinen unterscheiden.“ Mit diesem Zitat von der Bildredakteurin Fara Phoebe Zetzsche beginnt die Fotoreise in eine Großstadt, die ohne Dach über dem Kopf oft nur kühl und bedrückend wirkt. Doch das ist die Realität von so vielen jungen Menschen, die vor Problemen mit ihren Eltern weglaufen und die Anonymität von Berlin suchen, um ihr vermeintliches Glück zu finden.
Die Fotografin Zetzsche hält zwiespältige Momente fest: Denn auf den ersten Blick wirkt Nico (19) vergnügt, als er in sein Spiegelbild schaut. Er malt sich auf einen Verband über seinem Auge ein Weiteres auf. Wer die Bildunterschrift liest, weiß aber, dass er zuvor geschlagen wurde. Auch sehen Paula (18) und Kevin (19) beinahe friedlich aus, als sie auf einer Bank einnicken, um sie herum der Trubel des Berliner Hauptbahnhofs. Dazu erhält man als Zuschauer folgendes Zitat von Paula: „Die Gesellschaft sieht uns meistens eher als ‚Abschaum‘, die meisten halten nicht viel von uns, denken, wir haben nur keinen Bock zu arbeiten und verstehen nicht, warum man auf der Straße ist und warum man sich für so einen Weg entscheidet.“ Dadurch pocht ihre Einsamkeit und Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft noch mal nach, nur durch ein Foto.
Die Regeln der Straße
Zetzsches Bilder sind in Schwarz-Weiß gehalten. Unaufgeregt und wie eine kaum sichtbare Begleiterin hält sie die Tage der vier Jugendlichen fest. Die sind geprägt von Hunger, der Suche nach einem Schlafplatz, dem Bedürfnis sich auch mal waschen zu können sowie Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Begegnungen mit der Polizei. Immer wieder wird aber ein Lichtblick deutlich: die Gemeinschaft. „Eine Regel auf der Straße. Einer für alle, alle für einen“, wird Ole zitiert (21).
Genau dieses Bedürfnis zeigen auch die Bilder vom jungen Fotografen Massimo Branca und seinem Freund Igor Marchesan. Sie besuchten immer wieder Heizungstunnel unter dem Hauptbahnhof von Bukarest, wo viele Obdachlose bis 2015 eine Bleibe fanden. Dabei portraitierte er die junge Catalina, die nur 18 Jahre alt wurde. Die Lebenserwartung ist durch Drogenabhängigkeit und Krankheiten wie HIV sehr niedrig, wie man lesen kann, bevor die Bilderserie beginnt.
Bitte kein Mitleid
„Ich möchte es dem Publikum ermöglichen, sich vorzustellen, wie das unterirdische Leben ist, ohne dass ihre Augen durch Mitleid, Urteil oder Angst getrübt werden“, so Branca. Tatsächlich wirken viele Szenen sehr familiär. Es wird zusammen gekocht, kleine Sträucher werden zur Verschönerung gepflanzt oder im Park gespielt und Catalina schreibt in einem Buch ihre Gedanken auf.
Das brauchen wir alle – einen Ort an dem wir einfach sein können und genau deshalb ist die Fotoausstellung Verloren in Berlin und Bukarest nichts, wo man schnell mal durchstöbert. Das, was man sieht, hält einen fest.
Du möchtest die beeindruckenden Bilder auch noch sehen, dann hast du noch bis zum 21. Mai Zeit. Die Ausstellung ist kostenlos, du brauchst lediglich deinen Ausweis. Über die Feiertage kannst du inklusive Ostermontag von 12 bis 18 Uhr vorbeischauen. Achtung: Karfreitag ist geschlossen. Mehr Infos findest du hier auf der Website des Willy-Brandt-Hauses.