Kommentar

Warum der Frauentag als Feiertag diskriminierend ist

Pinkes Frauenpower-Zeichen auf einer Demo
Am Internationalen Frauentag haben Berliner*innen ab jetzt einen neuen gesetzlichen Feiertag
Berlin darf einen neuen Feiertag wählen. Nun sieht es so aus, als könnten sich die hohen Herren und wenigen Damen im Senat auf einen einigen: den Frauentag am 8. März. Ist das nicht ein Rückschritt in Sachen Emanzipation?

Seit Jahrhunderten kämpfen wir Frauen darum, endlich gleichberechtigt zu sein. Wir wollen gleich gesehen und gleich behandelt werden. Wir wollen ohne Quote eine Jobchance bekommen und selbstverständlich für die gleiche Arbeit das gleiche Gehalt… Wir wollen alles sein dürfen und zeigen, was wir können. Und zwar das ganze Jahr über. Ein Feiertag, der uns daran erinnert, dass es einfach nicht gut läuft für uns, fühlt sich an wie der von den meisten Müttern gehasste Muttertag: Ein paar Blumen und minutenweise brave Kinder sollen uns darüber hinwegtrösten, dass es uns 364 Tage niemand dankt, was wir im Alltag stemmen. Aber wir machen das ja alles gern, weil wir Frauen sind, unseren Frust herunterschlucken und uns die Liebe als einzige Motivation ausreicht. Hüstel.

Frauen sind besser

Genauso stellen wir uns auch den Frauentag vor: Viele Männer werden viele Reden halten darüber, dass sich was ändern muss und irgendwann ändern wird. Bestimmt. Sie werden darüber sprechen, dass Frauen ja gar nicht schlechter sind als die tollen Kerle, im Gegenteil. Aber ist ihnen wirklich bewusst, dass die meisten Studien zeigen, dass Frauen zuverlässiger sind, sozial fitter, sparsamer, besser in der Schule und an der Uni sowieso? Dass wir weniger kriminell sind, gesünder, vernünftiger, als Chefs umsatzsteigernder… Wir sind sogar erfolgreicher im Fußball und wir können einparken. Warum das nicht ausreicht, um auf der ganzen Welt die Gleichberechtigung durchzusetzen, weiß man(n) nicht.

Hinter den Kulissen wird gelästert

Und auch an diesem Feiertag wird keiner es auf den Punkt bringen, dass es einzig und allein die Männer sind, die uns unterdrücken und dass sich in deren Köpfen nichts ändern wird, so lange das System mit Leadern wie Trump und Putin funktioniert – im übrigens sind es nicht nur Männer, die solchen archaischen Typen zur Macht verhelfen. Nun ja, ab 2019 den Frauen einmal im Jahr zu etwas Aufmerksamkeit zu verhelfen, tut ja nicht weh, wenn man den Rest des Jahres die fetten Budgets untereinander aufteilen und im Locker-Room-Talk das PC-Korsett ablegen darf. Man(n) ist ja nicht so.

Alternativen zum Frauentag

Wir mitfühlenden Frauen, die universell denken, fragen uns, was aus dem Vorschlag geworden ist, den 9. November als Feiertag zu etablieren? (Immerhin hat ein Mann ihn vorgeschlagen, Tom Sello, Berlins Beauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur.) Dieses Datum, das traurige, dramatische und fröhliche Ereignisse verbindet, das gesamtgesellschaftlich von Bedeutung ist und auch unseren Kindeskindern noch beachtenswert erscheinen sollte: Der 9. November steht für das Ende der Novemberrevolution 1918 und die Ausrufung der Weimarer Republik, für den Hitlerputsch, die Pogromnacht, den Mauerfall… Es wäre also kein Tag für lustige Volksfeste, sondern ein Gedenktag, der gerade in diesen düsteren politischen Zeiten daran erinnern könnte, dass der rechte Weg mit welchem Leithammel auch immer niemals in eine bessere Welt führt.

Kirche und andere Ideen

Weit abgeschlagen ist (immerhin) der Vorschlag der Evangelischen Kirche, den Reformationstag am 31. Oktober zu feiern. Die Linke hatte kurzzeitig für den 8. Mai plädiert, um der Befreiung von der Nazi-Dikatur zu gedenken. Nun sind die Fraktionsmitglieder umgeschwenkt auf den Frauentag und so für einen kurzen Moment in der Historie mit den Grünen auf einer Wellenlänge. Michael Müllers Vorschlag, der Märzrevolution am 18. März zu gedenken, hat es nicht einmal in die öffentliche Straßendiskussion geschafft. Vermutlich weil die meisten erstmal googlen müssten, was das mit Berlin zu tun hat…

Frauenrechte sind Menschenrechte

Die laut Kaiser Wilhelm II. „gefährlichste Hexe Deutschlands“ Clara Zetkin, die die Frauenbewegung hierzulande weit nach vorn gebracht hat, hätte sich nie damit zufrieden gegeben, dass ihr Frauentag nun ein Feiertag wird. Sie hätte gesagt: Nach hundert Jahren stehen uns längst hundert Feiertage im Jahr zu! Die Herren feiern ihren Männertag am 19. November auch nicht groß, warum auch: Ihnen gehört die große Bühne ständig. Zumindest in den patriarchalen Teilen der Welt. Dieses natürliche Selbstbewusstsein sollten wir anstreben. Mehr Ego statt Gerechtigkeitssinn? Nein, wir wollen nicht die besseren Männer werden. Wir möchten uns nicht über die Breite unserer Schulter definieren oder beim Vergleich der Geschlechtsteile am Urinal mitspielen. Wir wollen Frauen bleiben und wollen eine selbstverständliche Gleichberechtigung – jeden Tag. Wie wäre es also, wenn wir den 10. Dezember feiern: den Tag der Menschenrechte?

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