Die Wartezimmer in Berliner Bürgerämtern sind oft zum Bersten voll. Langes Warten ist vorprogrammiert. – doch ältere Menschen, die nicht mehr alleine zu den Ämtern gelangen können, gibt es durch die demografische Entwicklung immer mehr.
Darum zählen Charlottenburg und Wilmersdorf als erste Bezirke auf ein neues Konzept, bei dem freiwillige Helfer im Außendienst arbeiten: Als Vertreter des Bürgeramts sollen die Ehrenamtlichen bedürftige Senioren und Schwerbehinderte zu Hause, im Pflegeheim oder im Hospital besuchen.
Anfänglich begrenzt sich der Dienst auf die Ausstellung neuer Personalausweise und sogenannter Lebensnachweise für Versicherungen.
Drei vom Kreis der Freiwilligen
Am gestrigen Mittwoch hielten der für Bürgerdienste zuständige Stadtrat Klaus-Dieter Gröhler sowie Sozial- und Gesundheitsstadtrat Carsten Engelmann (beide CDU) die Bürger an sich einzubringen. Der Kreis der Freiwilligen, die sich seit geraumer Zeit für den Bezirk sozial einbringen, stellt die ersten drei Unterstützer. Das Dreiergespann kommt aus einer Gruppe von 450 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Damit „liegen wir vor allen anderen Bezirken“, freut sich Engelmann. Die große Zahl an Helfern ist aber auch nötig, denn Charlottenburg und Wilmersdorf bringen es gemeinsam auf 65.000 Einwohner, die mindestens 65 Jahre alt sind. Der einzige Bezirk mit einem Durchschnitt, der diesen übersteigt, ist der Verbund aus Steglitz und Zehlendorf.
Früher, als es noch polizeiliche Meldestellen gab, wurden Senioren laut Gröhler oft von Kontaktbereichsbeamten aufgesucht. In den heutigen Bürgerämtern würden „Gebrechliche bevorzugt bedient“. Doch bettlägerige Personen hätten dann noch immer keine Möglichkeit, zum Amt zu gelangen.
Mehr Befugnisse, besserer Service
Anders als bei den Ehrenamtlichen der Sozialämter sind den Vertretern des Bürgeramts auch „hoheitliche Befugnisse“ erteilt worden: Sie untersuchen zum Beispiel die Identität der Person und rechnen die Gebühren für ihre Einsätze ab. Die Antragsbearbeitung für einen Ausweis wird im Bürgeramt erledigt; das fertige Produkt wird dann wieder persönlich zu den Bedürftigen gebracht.
Eigentlich haben bettlägerige Senioren die Möglichkeit, sich von der Ausweispflicht entbinden zu lassen. „Sie wollen das oft aber gar nicht“, haben Gröhler und Engelmann bemerkt. Für viele, die den Ausweis nicht bräuchten, ist er der Ausdruck eines normalen Lebens, auf den sie nicht verzichten wollen. Reisepässe jedoch erhält man auch in Zukunft nur im Bürgeramt. Denn wer eine Reise plane, heißt es, müsse auch den Gang zur Behörde schaffen. Auch Rollstuhlfahrer kommen in der Regel nicht um einen Besuch der Behörden herum.
Die Warteliste wächst schon
Ein Nachweis einer Behinderung muss nicht vorliegen, um vom Service Gebrauch zu machen. Gröhler schließt eine „geringe Missbrauchsquote“ nicht aus.
30 Euro Aufwandsentschädigung bekommen die Außenvertreter jeden Monat. Zusätzlich werden sie geschult. Die derzeitigen Ehrenamtlichen kommen aus dem Verwaltungs- und Polizeidienst. In diesem Gebiet bereits gearbeitet zu haben wird aber nicht vorausgesetzt. Bewerber brauchen lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis, das der Bezirk „gratis und unbürokratisch“ besorgen will.
Manche Senioren und Angehörige wissen schon von dem Service – es gibt bereits eine Warteliste. Gröhler erwartet pro Jahr rund 1000 Einsätze, die am besten von ungefähr 20 Helfern gestemmt werden würden.
Betrüger sollen keinen Fuß in die Tür bekommen
Die mobilen Helfer kämen „nur auf Wunsch und angemeldet“ vorbei, macht der Stadtrat klar. Darauf zu bauen, sei der Grundstein, um „Scharlatanen“ keine Türen zu öffnen. In Senioreneinrichtungen sollen geplante Besuchstermine über das schwarze Brett bekannt gemacht werden.
Weitere Bezirke könnten das Pilotprojekt nachahmen. Der für Soziales und Bürgerdienste zuständige Stadtrat von Friedrichshain und Kreuzberger, Knut Mildner-Spindler (Linke), nannte das Projekt eine „interessante Idee“, über die auch er sich weiter informieren will – im Gespräch mit den Leitern der Bürgerämter.
Der zuständige Stadtrat in Tempelhof-Schöneberg, Oliver Schworck (SPD) will sich „gern das Konzept erklären lassen“. Man dürfe nicht den Eindruck aufkommen lassen, „dass sich der Staat von seinen Aufgaben trennt“, bei dieser Variante passiere dies aber wohl nicht. Eine Komplikation sieht Schworck darin, Trickbetrügereien zu unterbinden. Sollten seine Bedenken vom Tisch gewischt werden können, sei das Modell eine Überlegung wert.