Als ich hergezogen bin, direkt an den Boxhagener Platz, am 30. April, war gleich die ganze Nacht Bambule. Vor dem Fenster. Herrlich! Endlich mal was los! Nach 13 Jahren Prenzlberger Hinterhof hab ich es sehr genossen, das Kissen aufs Fensterbrett zu legen und mitzugrölen. Das war 2008. Das letzte Mal 1. Mai am Boxi übrigens. Mist. – Am Wochenende wurde ich dafür aber wenigstens entschädigt. Den ganzen Tag auf dem Platz Straßenmusik vom Feinsten und aus aller Welt, das Kindergeschrei auf dem Spieli fiel da nicht weiter auf (wie gesagt, 13 Jahre Prenzlberg…). Nachts vor dem Fenster, besonders im Sommer, angenehm homogene Geräuschkulisse. Lachende, singende, manchmal auch pöbelnde Leute, aber immer so viele, dass weder einzelne Geräusche noch das Getrampel der Nachbarn auffielen. Wie Meeresrauschen. Das beste Schlafmittel überhaupt. Endlich wieder durchschlafen!
Aus Prenzlberg war ich nämlich geflohen, nachdem mein Block, zuvor ein fast ausschließlich von Musikern bewohntes Haus, nach und nach von jungen Familien übernommen und mit gesetzlichen Ruhezeiten (brüllende Gören natürlich ausgenommen) überzogen wurde. Damit bin ich nicht kompatibel. Wenn ich nachts um drei hochschrecke, weil es draußen totenstill ist und ich denke, die Welt ist untergegangen – und um 6 weckt mich das Getrampel der lieben Kleinen – und um acht ist dann wieder Totenruhe – aber wenn ich um zehn noch mit der Freundin ein Weinchen trinke, haut man an die Wand – nein danke. Ich geh dann mal. So wie ich auch damals, vor 22 Jahren, aus der Kleinstadt verschwunden bin. So schnell ich konnte. Ich hasse Ruhe. Und sie macht mich krank, buchstäblich. Schlafstörungen und Depressionen, ärztlich attestiert.
In Friedrichshain ist einfach zu wenig los
Tja, Friedrichshain. Das war einmal. Jetzt ist es auch hier um meine Nachtruhe geschehen. Es ist einfach zu wenig los! Statt 100 lachenden tratschenden Leuten nur noch 20. Da versteh ich jedes Wort. Auch nicht schlimm, die sind ja draußen, das stört mich ja gar nicht, aber ich fürchte, es werden noch weniger. Keine Cajons und Gitarren mehr, die die ganze Nacht auf dem Park jammen, sondern da kommt immer mal ein Auto vorbei mit der fetten Anlage und die Scheiben runter. Und dazwischen prügeln sich zwei. Na, meinetwegen. Vom Nachbarn hör ich jetzt jeden Pieps. Und Straßenmusik am Sonntag? Gibt’s nicht mehr.
Und jetzt soll sogar noch eine Sperrstunde eingeführt werden? WIE BITTE?? Und warum eigentlich? Wer will das? Ich bestimmt nicht. Und ich wohn hier. Und ich will hier wohnen. Genau so. Und wollte das immer. Denn ich wusste, wo ich hinziehe.
Langweilig. Ich glaube, es ist Zeit, weiterzuziehen. – Moment. – Wohin denn genau? Welche lauten lustigen Wohngegenden gibt es denn noch?
Kreuzberg: befriedet.
Prenzlberg: Hatten wir schon.
Charlottenburg: seit 1940 friedlich.
Wedding: noch nicht soweit.
Pankow: Sehr witzig.
Lichtenberg: Da ist meine Firma, da wohn ich nicht, wenn’s nicht sein muss, obwohl da wenigstens was los ist, im Gewerbegebiet. Überall sonst in Lichtenberg: Fehlanzeige.
Mitte: bin ich hip oder was. Und auch längst befriedet.
Schöneberg: das war mal.
Neukölln: vielleicht, hat jemand da ne Wohnung für mich? Aber wie lange geht das noch gut?
Das Problem mit der Befriedung der Kerngebiete ist nicht nur, dass sie dadurch dann keine Kerngebiete mehr sind, und davon hat das zentrumslose Berlin wahrlich nicht genügend. Sondern vor allem, dass man ein Kerngebiet nicht erschaffen kann. Das kann nur wachsen. Das dauert. Steuern kann man das auch nicht. Wo bleiben die Straßenmusiker? Die lauten lustigen Leute? Der Typ mit der Gitarre und dem Cajon, der dich nachts zum Mitspielen auffordert? Wo die sind, weiß gerade keiner. Wahrscheinlich Zuhause. Im Bett.
Also, was mach ich jetzt? Wo ist mein Recht auf ungestörten friedlichen Schlaf? Wenn ich darauf klagen würde, so nach amerikanischem Vorbild, dürfte ich mir vielleicht eine riesige Anlage auf den Balkon stellen und die ganze Nacht auf voller Lautstärke Partysounds abspielen. Schlafen könnte ich dann auch nicht, weil ich ja weiß, dass es nicht echt ist. Aber die Gesichter der lieben lärmempfindlichen Nachbarn wär’s mir wert.
Die Autorin Feline Lang, geboren in Niedersachsen, ist Mezzosopranistin, Teil des Berliner Punk-Pop-Duos Feline&Strange, und Theaterschauspielerin (u.a. Schaubühne am Lehniner Platz). Mehr Infos.