Diese Erinnerung ist hängengeblieben: Als wir uns eine Kinder-Revue im Friedrichstadt-Palast anschauen, tanzen da ganz viele Nachwuchstalente über die Bühne. Während die Hauptrollen von Profis besetzt zu sein scheinen, trappelt ein klitzekleiner Darsteller in seinem rosa Hasenkostüm den anderen hinterher. Für uns ist er aber der Darsteller des Nachmittags. Wie kommt so ein kleiner Kerl eigentlich auf die größte Theaterbühne der Welt, die der Show-Palast in Berlin sein Eigen nennt?
Einblick darin gibt gerade der Film Lampenfieber. Die Doku läuft seit dem 14. März in Berliner Programmkinos und portraitiert die Entstehung einer Kinder-Show im Friedrichstadt-Palast vom Casting über die Proben bis zur großen Premiere. Wer sich noch nie mit dem jungen Ensemble beschäftigt hat, wird beeindruckt sein: Was die Kids, und natürlich auch das Team der Theaterschaffenden drum herum, da leisten, ist der Wahnsinn! Nicht nur, dass alle Stücke, die auf die Palast-Bühne kommen direkt im Haus entstehen, inklusive aller Kulissen, Kostüme und der Musik. Hier üben tatsächlich Laien viele Stunden lang für ihren großen Auftritt auf Profi-Niveau! Bis zu drei Mal in der Woche absolvieren sie teils drei Stunden lange Trainings. Und das zwischen der Schule und dem ganz normalen Kinderalltag. Ist das noch Freizeit-AG oder schon Drill?
Wir machen uns auf den Weg in die Friedrichstraße und dürfen beim jährlich stattfindenden Casting für das junge Ensemble dabei sein. Etliche wollen zu den rund 280 Mädchen und Jungen gehören, die hier tanzen, singen und schauspielern. Doch nur etwa 30 Bewerber*innen schaffen es – und absolvieren dann erst einmal eine dreimonatige Probezeit. Die Anforderungen an sie gleichen für uns Unwissende eher denen einer Ballettschule als denen für eine Freizeittruppe: Neben Leidenschaft für Tanz und Schauspielerei werden bei dem Casting Rhythmusgefühl, Koordinationsfähigkeit und Dehnbarkeit abgefragt. Heute findet der Recall für 6- und 7-jährige Schulkinder statt, die an dem Traditionshaus in Mitte durchstarten wollen.
Die Anforderungen beim Kinder-Casting sind hoch
Wir beobachten Kids, die biegsamer sind als wir es trotz regelmäßiger Yoga-Sessions je sein werden: ran mit den Händen an die Zehenspitzen, ab in den Spagat und runter auf die Erde mit dem Oberkörper. Am Ende rennen die meisten strahlend zu ihren Eltern, die im Foyer warten mussten. Aber einige wischen sich am Ärmel von Mama und Papa die Tränen aus dem Gesicht. Sie entsprechen den hohen Anforderungen des Palastes leider nicht. Gesagt hat ihnen das Christina Tarelkin, die Direktorin des jungen Ensembles und gibt zu: „Das Nein-Sagen ist für mich nach wie vor schlimm.“ Die gebürtige Berlinerin hat in ihrer Jugend selbst in ihrer Freizeit am Friedrichstadt-Palast getanzt – das war zu DDR-Zeiten. Als studierte Choreographin und Tanzmeisterin ist sie nun seit 1989 wieder Teil der Palast-Familie.
Sie ist nicht die einzige, die wiederkommt. Einige Tänzer*innen, Beleuchter*innen oder Kostümbildner*innen haben früher im Haus trainiert und auf der Bühne gestanden – nicht ausschließlich, aber vor allem zum Spaß. „Wir sind schon ein Leistungsensemble“, sagt Tarelkin und ergänzt: „Ich muss und will als erstes Qualität auf der Bühne haben.“ Dafür erhält, wer hier regelmäßig mitmacht aber auch eine semi-professionelle Ausbildung: Profis und Pädagogen bieten den Kindern Ballett- und Tanzstunden, Schauspiel- und Gesangsunterricht.
Hier spielt kein Kind nur „den Baum“
Die tänzerische Ausbildung steht für die Revue-Aufführungen im Vordergrund, die der Palast nun einmal bietet. Zwar können die Kinder später auch Fachkurse für Schauspiel oder Gesang besuchen, wenn sie möchten. Aber seit Tarelkin das Ensemble übernommen und umstrukturiert hat, müssen alle Kinder alles und vor allem tanzen können. „Das ist die Schwierigkeit“, erklärt die Direktorin. Doch hinter dem Anspruch steckt eine gute Sache: Sie habe weggewollt von den Aufführungen, in denen ein paar Kinder im Vordergrund glänzten während die anderen hinten „als Bäume“ herumstanden, erklärt sie.
Das schätzen auch die Kinder. Wer es einmal ins Kinder- und Jugendensemble geschafft hat, bleibt in der Regel bis zum Ende der zehnjährigen Ausbildung – und ist dann mit all seinen erworbenen Fähigkeiten auf dem Niveau der 3. oder 4. Klasse an einer professionellen Schule für Tanz oder Schauspiel. Eine starke Leistung für ein Freizeitinteresse.
Viele machen später ihre Leidenschaft für die Bühne zum Beruf: hinter den Kulissen, mit einer professionellen Tanzausbildung oder in der Schauspielerei – wie zum Beispiel die ehemaligen Ensemble-Mitglieder Sonja Gerhardt und Paula Beer. Doch alle nehmen Wichtiges aus dem jungen Ensemble mit. Denn vor allem Werte wie Disziplin, Respekt, Teamfähigkeit und Durchhaltevermögen werden hier vermittelt. Nicht zu vergessen: Leidenschaft, Freundschaft und das Gefühl, zur Palast-Familie zu gehören. Der Spaß steht also immer noch im Vordergrund. Das kommt auch bei den Kindern an, weiß Christina Tarelkin: „Dieses Haus ist eben etwas Besonderes. Ein toller, großer Kinderspielplatz; auch für uns Erwachsene.“
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Mehr Infos zum Casting für das junge Ensemble findest du auf der Webseite vom Friedrichstadt-Palast. Gut zu wissen: Die Kinder im Ensemble zahlen einen jährlichen Beitrag von 240 Euro. Da es für die Teilnahme an den Aufführungen aber eine Aufwandsentschädigung gibt, ist dieser Betrag eher eine Auslage.