Proportional zur Sehnsucht nach dem Glück im Grünen sinkt in Berlin die Abneigung gegen Brandenburg. Vielleicht liegt es an dem Boom in der City, den steigenden Mieten, am Klimawandel oder daran, dass selbst Kleingärten hier nicht einfach zu bekommen sind. Massenbesichtigungen und endlose Wartelisten sind die Norm bei Heim und Hof und Kleingarten. Außerdem werden viele Kleingartenanlagen plötzlich platt gemacht, weil Büros gebaut werden müssen oder endlose Siedlungen für Neureiche errichtet werden sollen.
Phantasie und Wirklichkeit
Ich muss gestehen, ich war noch nicht so weit, mich mit dem Nachbarbundesland anzufreunden, als mein Mann meinte: „Ich kann da günstig was kaufen.“ Er sprach vom „Haus am See“ und vor meinen Augen sah ich ein romantisches Häuschen mit dem Charme der Côte d’Azur und einer Einrichtung im Hygge-Style. Und als ich daran dachte, wie wir einmal vor einem zerfallenen Holzhaus in einem Kleingarten standen, dicht gedrängt neben anderen Berliner Familien, um uns erklären zu lassen, dass der riesige Sonne-nehmende Walnussbaum nicht gefällt werden dürfe, aber natürlich Ratten anlocke und eine durchgehende Rasenfläche aufgrund der Bestimmungen sowieso nicht erlaubt sei, der Vorbesitzer aber ein halbes Vermögen für die Bruchbude und die Geräte wünsche, wurde mir klar: Wenn ich einen Garten will, dann finde ich ihn nicht in Berlin. So öffnete ich mein Herz einen Spalt und fuhr mit an diesen See – irgendwo im Nirgendwo.
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DDR an der Côte
Statt im französischem Idyll finden wir uns heute in einer ehemaligen DDR-Wochenendhausgemeinde wieder. Die Häuser stehen kreuz und quer, unbefestigte Wege führen an den merkwürdigsten Bungalows und typischen Zeltdachhäusern Typ A III vorbei. Spießertum hier, Freaks dort und dazwischen das besagte Traumhaus meines Mannes. Ok, das ist unfair, von Traum war auch bei ihm nie die Rede. Es dauerte jedenfalls Wochen, bis ich es mir schön geredet hatte, aus dem hellgelben deutschdemokratischen Erholungsbau und der Busch-gesäumten Rasenfläche eine schicke Sommerresidenz schaffen zu können. Und erst jetzt – ein gutes Jahr später – weiß ich, wie viel Arbeit es macht, ein winzig, kleines Haus zu entrümpeln, zu streichen, Büsche zu entfernen, Rasen zu säen, Äste abzusägen, umzugraben und Blumen zu pflanzen, bis es langsam zu dem wird, was wir uns vorstellen. Die Arbeiten drinnen und draußen dauern noch an und wären mir natürlich auch in einem Kleingarten nicht erspart geblieben. Dort hätte es passieren können, dass man nach dem letzten Pinselstrich erfährt, dass die Stadt das Gelände zurückfordert. Das Haus am See, wie ich es nun auch nenne, bleibt uns so lange erhalten, wie wir es wollen. Uns gehören Haus und Grund. Für das Geld, das wir investiert haben, bekommt man in Berlin höchstens noch eine Garage.
Kosten sparen
Als Hommage an meine geliebte Côte d’Azur wachsen kleine Palmen bei uns im Garten und ein riesiges Sofa, zahlreiche Kissen und helle Möbel sorgen innen für nordische Gemütlichkeit. Und wenn ich in den nächsten Wochen mit einigen, wenigen Nachbarn die große Wiese am See-Ufer teile, denke ich an die langen Schlangen vor Berlins Freibädern oder die Schlachten um die letzte Bucht an den bekannten Badeseen. Abends können wir grillen ohne Gezeter von Anwohnern, die sich durch den Geruch belästigt fühlen. Hier schmeißen die einfach selbst was aufs Feuer oder kommen mit einer Flasche Wein vorbei und setzen sich dazu. Die Kinder können auf der Straße und im Wald spielen und in Jogginghose verliert man nur zu gern die Kontrolle über sein Leben – warum auch nicht. Es lohnt sich, Berliner Arroganz abzulegen und sich im Umland umzusehen. Man spart Zeit, Geld und Nerven, weil man an den Wochenenden nicht die üblichen Entertainments (auf)sucht, sondern einfach rausfährt. Seit wir uns ab und zu Auszeiten in Brandenburg nehmen, schaffe ich es sogar gelassen durch den großstädtischen Feierabendverkehr. Im Sommer geht es allerdings nach Südfrankreich – Brandenburg ist nicht alles.