Führung am authentischen Ort

Die traurige Geschichte der Wiesengrund-Kinder

Bild eines unbekanntes Kindes, aufgenommen um 1942 in der Städtischen Nervenklinik für Kinder.
Bild eines unbekanntes Kindes, aufgenommen um 1942 in der Städtischen Nervenklinik für Kinder. Zur Foto-Galerie
In zwei Gebäuden am Eichborndamm wurden zwischen 1942 und 1945 medizinische Experimente mit sogenannten "Reichsausschusskindern" durchgeführt. Eine Ausstellung informiert über das Schicksal der kleinen Patienten in der ehemaligen "Kinderfachabteilung Wiesengrund".

Insgesamt 175 Kinder, 66 Mädchen und 109 Jungen ab dem Alter von wenigen Monaten, wurden auf Geheiß der NS-Regierung in der Städtischen Nervenklinik für Kinder, einer Unterabteilung der Wittenauer Heilstätten, eingewiesen. NS-höriges medizinisches Personal hatte die Kleinen als geistig und oder körperlich so stark behindert eingestuft, dass sie als „Reichsausschusskinder“ galten – „Ballastexistenzen“, die laut NS-Ideologie eine nicht lebenswerte „Gefahr für den deutschen Volkskörper“ darstellten.

Das System, mit dem man sich der jungen Patienten möglichst unauffällig entledigte, war perfide: Unter dem Deckmantel eines modernen kleinen Kinderkrankenhauses waren die Kinder der Willkür der angestellten Ärzte und Schwestern ausgeliefert. Man experimentierte an ihnen, unterzog sie etwa der äußerst schmerzhaften und risikoreichen Luft-Encephalographie, Fiebertherapien oder Versuchen zur Tuberkuloseimmunisierung.  Ziel war dabei weniger der medizinische Erkenntnisgewinn als vielmehr der unauffällige Tod der Kinder. Schlecht geheizte Räumlichkeiten, Nahrungsentzug und Übermedikation taten ihr Übriges: Von den 175 Kindern, die zwischen 1942 und 1945 in der Nervenklinik Wiesengrund „behandelt“ wurden, starben 81 einen qualvollen Tod. Noch nach dem Tode waren die Kleinen den Experimenten in der Pathologie am Eichborndamm schutzlos ausgeliefert. Was mit den Leichen der Kinder geschehen ist, ist bis heute unklar.

 

"Erledigt / Material weg."
Im Geschichtslabor am Eichborndamm 238 bekommen die Patienten der ehemaligen Kinderfachabteilung Wiesengrund ein Gesicht. In vier Räumen im Untergeschoss – im Rest des düsteren Gebäudes ist heute das Tiefbau- und Landschaftsplanungamt Reinickendorfs untergebracht – können Besucher in einer kleinen Ausstellung Patientenakten einsehen, die rekonstruierten Schicksale der hier getöteten Kinder auf sich wirken lassen, Reaktionen der Eltern nachvollziehen und auch den weiteren Werdegang des medizinischen Personals der ehemaligen Kinderklinik verfolgen. Denn abgesehen von einem Arzt kamen alle Täter ungeschoren davon, stand doch gerade in den Nachkriegsjahren die Verfolgung antisemitischer Verbrechen im Fokus der Öffentlichkeit. Die Verbrechen der „Kinder- und Jugendeuthanasie“ wurden dagegen jahrzehntelang totgeschwiegen.

Am Eichborndamm ist zumindest ein kleiner Schritt gegen das Vergessen getan. Schüler haben hier die Möglichkeit, sich mit den Verbrechen und der Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Gerade erst wurde das Kunstprojekt Das Haus der Carl-Bosch-Schule in den Kellerräumen am Eichborndamm 238 eröffnet. Auch externe Besucher haben Zugang zur anlässlich des Themenjahres Zerstörte Vielfalt konzipierten Dauerausstellung und den Schülerarbeiten. Regelmäßig organisiert das Museum Reinickendorf in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Führungen durch die Räumlichkeiten, zudem können Gruppen ab fünf Personen jederzeit Führungen am offiziellen Gedenkort buchen. Der Besuch wird erst ab einem Alter von 16 Jahren empfohlen.

Mehr Infos gibt es auf der Webseite vom Museum Reinickendorf zum Gedenkort und Geschichtslabor Eichborndamm 238, dem Standort der ehemaligen Kinderklinik Wiesengrund. Übrigens: Im Jahr 2019 spielt die frühere „Städtische Nervenklinik für Kinder“ in der zweiten Staffel der ARD-Erfolgsserie Charité eine Rolle.

Foto Galerie

Die traurige Geschichte der Wiesengrund-Kinder, Eichborndamm 238-240, 13437 Berlin

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