Duftende Kaffeewölkchen wehen durch die Räume des kleinen Cafés „Casero“ in der Gabriel-Max-Straße. Die Spuren des gestrigen Tangoabends sind beseitigt und die Vorbereitung für die nächste Veranstaltung ist in vollem Gange. Die Frühstückszeit ist vorbei. Mahmut, der umtriebige Betreiber und – wie er liebevoll betont – seine Mädels, schnaufen durch und bedienen die Nachmittagsgäste, Kaffeetrinker und Kuchengenießer. Von „unserem Wohnzimmer“ sprechen sie.
Doch dies soll nach dem Willen des Vermieters ein Ende haben. Mietpreis verdoppeln und kurzfristige Laufzeiten verspricht Maximalrendite. Nachhaltigkeit? Wachsende Kiezkultur? Fehlanzeige.
Kleinhandel in Not
So erging es vielen Geschäften, vor allem im sogenannten Südkiez um den Boxhagener Platz. Und so wird es in naher Zukunft viele andere ebenfalls treffen. Ein Handwerker in der Mainzer Straße – er möchte nicht genannt werden – streicht aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten zwei Jahren die Segel: „Wenn ich mich hier so umschaue, bin ich der letzte Überlebende. Alle ehemaligen Marktkollegen die auch in unmittelbarer Umgebung ihren Laden hatten, gibt es nicht mehr.“ Anfang der 1990er Jahre war er nach der Räumung der besetzten Häuser mit der Erste, der in den gegenüberliegenden Häusern seinen Laden aufmachte. Für die Plakate an seiner Eingangstür, mit dem Hinweis, dass ein übermäßig herausgeputztes Wohnumfeld auch die Mietpreise steigen lässt, hatte er kein Verständnis. Heute gesteht er, dass es ihm in der Seele weh tut, den damaligen Bedenkenträgern Recht geben zu müssen.
Björn Streck von der Coffeincentrale, ebenfalls in der Mainzer Straße beheimatet, weist vielsagend auf die eingerüsteten Häuser ein paar Hausnummern weiter. „Da bezahlste bei Fertigstellung das Doppelte. Du hast hier zum Teil Münchener oder Hamburger Verhältnisse. Aber deren zahlungskräftige Kundschaft fehlt hier.“ Nach einer Pause setzt er hinzu: „Zum Glück, die wollen wir ja auch gar nicht haben.“ Damit meint er jene Neuberliner, die in den Geschäften hier nicht einkaufen, sondern sich mit Immobilien ausstatten. Als Wertanlage im „billigen“ Berlin erworben, sollen diese der Alterssicherung dienen, nicht aber dem eigentlichen Zweck, dem Wohnen. Wer Party in der Nacht in der Simon-Dach-Straße feiert und am Morgen in der Ferienwohnung erwacht, benötigt allenfalls einen Kaffee, um zu überleben. Waren des täglichen Bedarfs finden keinen Gebrauch.
Positive Beispiele – Hoffnungszeichen?
Andere Erfahrungen hat der Betreiber des Reisebüros „Passat-Reisen“ in der Boxhagener Straße, Thomas Erben, gemacht. Er erzählt von langen, mühsamen aber letztlich von Erfolg gekrönten Gesprächen mit den Vermietern. Kompromisse wurden gesucht und gefunden. Das setzt einen Willen voraus, der gerade bei Vermietern oft vermisst wird. Zu einem intakten Wohnumfeld gehört nun einmal eine intakte Infrastruktur, Läden, die das gesamte Sortiment des täglichen Lebens anbieten, vom Hosenknopf bis zur Lakritzstange. Auch ein Pizzabäcker oder ein Späti soll sich heimisch fühlen.
Genau darauf zielt die soeben von der Wirtschaftsförderung des Bezirkes veröffentlichte Broschüre „Handlungskonzept für den Wirtschaftsstandort Friedrichshain-Kreuzberg. Strategien für die bezirkliche Wirtschaftsförderung“ ab. Trotz aller Probleme sehen Gewerbetreibende und Wirtschaftsförderung eine positive Zukunft. Auch der Friedrichshain-Kreuzberger Unternehmerverein verzeichnet grundsätzlich eine gute Stimmung unter seinen Mitgliedern. Fragen bleiben aber offen. Wie soll die bestehende Infrastruktur im Bestand gehalten oder vielleicht noch verbessert werden? Wie wird man der überbordenden Touristenflut Herr? Welche Instrumentarien kann und will der Bezirk in der zukünftigen Planung einsetzten?
Langer Atem ist notwendig
Die Beantwortung soll in naher Zukunft durch die Politik in Angriff genommen werden. Ein Antrag der SPD-Fraktion wurde von der Bezirksverordnetenversammlung in die zuständige Ausschüsse verwiesen. Auch die Fraktion der Grünen signalisierte Unterstützung. Bleibt nur zu hoffen, dass der Senat sich entgegen der Gewohnheit einmal nicht dem Druck des Mammons beugt und sich für die Interessen des Bezirkes und deren Bewohner entscheidet. Denn nur ihm obliegt die Entscheidungshoheit.
Mahmut dagegen zieht weiter. In der Neuen Bahnhofstraße 21 eröffnet er Anfang Dezember das cafe mavigök, ein auf die Hälfte geschrumpfter Nachfolger des „Casero“. Dieses soll mit altem Namen am altbekannten Platz bestehen – dann eben nur mit neuem Betreiber.
Dieser Artikel wurde uns zur Verfügung gestellt vom Friedrichshainer Zeitzeiger. Hier kannst du ihn in ungekürzter Form lesen. Mehr spannende Geschichten aus Friedrichshain findest du auf der Homepage unter fhzz.de.