Wenn ich mich streite, werfe ich mit Worten. Das kann ich ziemlich gut. Ich werfe ganz bestimmt keine Tassen an die Wand. Das habe ich schon als Kind gelernt – was ich in der Wut kaputt mache, bleibt meistens kaputt, selbst wenn der Ärger schon verraucht ist. Es dauert vor allem, alles wieder wegzuräumen. Aber wie gerne möchte ich manchmal etwas zerschlagen! Gott sei Dank bin ich nicht wunderlich, oder vielleicht doch ein bisschen, aber ich bin nicht allein. Ansonsten wäre der Erfolg des ersten Berliner Wutraums, dem „crash room“, wohl nicht nachvollziehbar. Dinge ohne schlechtes Gewissen zerkloppen – das klingt irgendwie toll!
Ich mache mich auf den Weg nach Lichtenberg und lande auf einem alten Gewerbehof im Wiesenweg. Das Gelände ist groß und menschenleer, die Wände sind mit Graffiti kunstvoll besprüht und ich fühle mich sofort in die apokalyptische Kulisse eines Zombiefilms katapultiert. Irgendwie wirkt hier alles endzeitlich, aber auf eine morbide Weise auch charmant. Eben sehr Berlin. Ich habe keine Ahnung, wo ich hin muss. Ich finde einen einsamen Arbeiter, der mir hilft und in Richtung einer sehr cool bemalten Stahltür nickt, an der „Ghetto Zombies coming over us“ steht.
Es kommen Familienväter und von Liebeskummer Geplagte
Allerdings ist das Ganze keine professionelle Therapie, sondern wirklich nur ein Spaß, um kurzfristig mal Dampf abzulassen. Eine Mutter, die für ihren Sohn buchen und wegen dessen ADHS-Erkrankung mit der Krankenkasse abrechnen wollte, musste leider enttäuscht werden. Christian führt mich in einen der beiden Wuträume. Hui, hier hat jemand gut Dampf abgelassen. Die komplette Einrichtung ist kurz und klein geschlagen. Sogar in der Wand gibt es ein paar Löcher. Tatsächlich ist der Raum, bevor er dem Erdboden gleichgemacht wird, ein vollständig eingerichtetes Zimmer. Schrank, Tisch, Stühle, Vasen, Geschirr, Kissen – alles drin.
Im Hintergrund läuft schon mal Helene Fischer
Die Möbel besorgt sich Christian bei Wohnungsauflösungen. Um manche Dinge ist es fast zu schade. Er zeigt mir im Lager einen schweren, dunklen Schrank im Jugendstil und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand so mutig sein würde, das schöne Stück zu zerstören. „Doch, doch“, sagt Christian, „da wird gebrüllt und geschwitzt – aber keine Rücksicht genommen“. Lustig auch der Unterschied zwischen Männern und Frauen: „Frauen zerschlagen am liebsten Geschirr, Männer hauen gerne die Fernseher ein.“ Dazu läuft dann Helene Fischer oder Heavy Metal, je nachdem, was der Kunde gerne hören möchte oder mitbringt.
Wenn alles zerkloppt ist, räumt Christian die zertrümmerten Gegenstände aus den Zimmern und richtet sie wieder komplett ein. Gerade arbeitet er an einem mobilen Wutraum, der gebucht werden kann für Geburtstage oder Firmenfeiern. Das stelle ich mir super vor. Statt Hühnerbrust zur Mittagspause gibt’s die Keule! Zudem bietet der „crash room“ Tortenschlachten und Actionpainting an. Viel los in dieser kleinen Hütte!
Sowieso scheint der Gewerbehof gar nicht so einsam zu sein, wie er auf den ersten Blick scheint. Neben dem „crash room“ gibt es auf dem Gelände einen Trabi-Verleih, eine Keramikwerkstatt und einen Squashcourt. Also ist wirklich was für jeden dabei. Ich treffe für mich selbst die Entscheidung, dass ich lieber weiter mit Worten werfe, statt mit Geschirr. Wer weiß, vielleicht fände ich ja Gefallen daran. Und ich habe jetzt schon – zumindest laut einiger, die mich kennen, nicht mehr alle Tassen im Schrank!