Der Wandel war hier schon immer an der Tagesordnung. Die Badstraße hatte schon viel Auf und Ab erlebt, war von ihrer Rolle als Kino- und Einkaufsmeile abgestiegen zu einem trostlosen Mauerblümchendasein während der Teilung der Stadt. Selbst der Bundesligaverein Hertha BSC schien sich für seine alte Heimstätte an der „Plumpe“ an der Behmstraße zu schämen.
Mit der Wiedervereinigung rückte der Randbezirk plötzlich wieder ins geographische Zentrum der Stadt. Und trotzdem schien sich der Gesundbrunnen nicht darum zu scheren, dass er auf einmal zu Mitte gehörte und grenzte sich zu seinen schicken Nachbarkiezen im Osten durch eine lässige Gleichgültigkeit ab. Die meisten Bewohner wähnen sich trotz Gebietsreform übrigens nach wie vor „im Wedding“…
Ein Bahnhof zur WM
Eher türkisch als arabisch geprägt, füllten sich die vielen Geschäfte an der Badstraße neben vielen einfachen Läden und absurd vielen Apotheken auch mit immer mehr Spielcasinos, Wettbüros und Gemüseläden. In den Altbauten oder in den 80er-Jahre-Sozialbauten lebte es sich preiswert und teure Restaurant- oder Cafébesuche konnten sich die Bewohner ohnehin nicht leisten. Die Bernauer Straße und der Mauerpark sorgten zusätzlich für die Abschottung vor den immer bürgerlicher werdenden Nachbarstadtteilen.
Dass das nicht ewig so bleiben konnte, war aber irgendwie auch klar. Schon vor 20 Jahren war mitten in der Baustelle am heruntergekommenen S-Bahnhof Gesundbrunnen ein glitzerndes UFO gelandet, das Gesundbrunnen-Center. Pünktlich zur Fußball-WM 2006 wurde dann direkt davor ein Fern- und Regionalbahnhof eröffnet – passend zum früher von Investoren ungeliebten Kiez hatte er aber zehn Jahre lang überhaupt kein Zugangsgebäude.
Und dann begann die Aufwertung, erst ganz schleichend, dann immer rasanter. Der Mietdruck auf der anderen Seite des Gleimtunnels sorgte für konstantes Durchsickern einer ganz neuen Bewohnerschaft. Zuerst schossen die Kitas wie die Pilze aus dem Boden, dann zogen originelle Manufakturen und Geschäfte, vor allem rund um die Euler– und die Grüntaler Straße, nach. Die Luxuswohnungen auf der Weddinger Seite des Mauerparks sorgen aktuell für ein neues Gefälle innerhalb des Kiezes, aber noch ganz an seinem Rand.
Nur eine Straße bleibt was sie ist
Die unbeugsame Badstraße leistete lange Widerstand, noch immer ist sie eine wuselige Billigmeile, geprägt von überwiegend türkischer Lebenskultur. Wie in anderen Geschäftsstraßen mit türkischem Einschlag wirkt es wie eine endlose Wiederholung von Frühstückshäusern, Telefon/Spätkauf- und Dönerläden. Doch gleich in ihren Nebenstraßen vollzieht sich ein Wandel. Hier entstehen neue Kieze: Flächendeckend etablieren sich kleine Cafés und neue Kneipen wie die Wilma, die F-Bar und der inzwischen nach Mitte vertriebene Castle Pub. Studenten sind schon immer in die Gegend gezogen, doch hielt es sie nicht lange. Das hat sich offensichtlich geändert. Selbst die Gründung einer Familie ist für viele kein Grund mehr wegzugehen. Die gute Anbindung an Fern-, U- und S-Bahn sowie die breite Infrastruktur an Kitas und Schulen machen es möglich. Dazu ausreichend Ausgehmöglichkeiten für den Tag und auch für die Nacht. Dabei fällt auf, dass es insgesamt noch ziemlich gechillt zugeht. Stress löst das Miteinander der verschiedenen Bewohnerschaften offensichtlich nicht aus.
Auf dem Wandbild an der Ecke Pankstraße ist von „Gewachsen auf Beton“ die Rede. So mag der Kiez gern von anderen gesehen werden. Doch der Beton hat offensichtlich Risse bekommen. Und aus der stachligen Distel könnte bald eine unvermutete Dorfschönheit werden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei www.weddingweiser.de.