Strategies and Missed Calls
Nach einer Weile springt Eine auf, steckt sich seine Kopfhörer in die Ohren und beginnt die schmale Wand, die den Gehweg von den Gleisen der Ringbahn trennt, zu besprühen. Es ist ein offizielles Projekt, das in Kooperation mit den Betreibern des Velodroms, dem Senat der Stadt Berlin und “Urban Nation“, einer Institution zur Förderung von Street-Art, entstanden ist. Das Graffiti befindet sich noch im Anfangsstadium, Eine ist damit beschäftigt, das grobe Outline zu zeichnen. Auf die Frage, was später zu sehen sein wird, antwortet er: „STRATEGIES & MISSED CALLS“. Es sei eine Allegorie auf sein Leben, da er häufig Pläne geschmiedet habe, die er nicht in die Tat umzusetzen vermochte.
In den nächsten zwei Stunden nimmt der Schriftzug Gestalt an, die Buchstaben erhalten ihre dreidimensionale Form. Dabei bewegt sich Eine ständig zwischen Wand und Stufen hin und her, misst seine Arbeit mit den Augen nach, trinkt einen Schluck Bier und begibt sich wieder ans Werk. Ein paar Spraydosen fliegen durch die Luft, er steckt sich eine Zigarette an und summt die Melodie zu „Horse with no name“. Wann er das letzte Mal in Berlin gewesen sei, frage ich ihn, und er lächelt ein wenig gequält als er antwortet: „Vor ungefähr zehn Jahren. Ich war mit Banksy unterwegs, irgendwo in Ost-Berlin. Wir haben eine Wand besprüht und wurden verhaftet. Die Polizei hat uns Pistolenläufe in die Nacken gedrückt und schließlich abgeführt. Damals habe ich mir geschworen, nie wieder an diesen Ort zurückzukehren. Aber jetzt bin ich doch wieder hier, wie’s scheint.“
Birdman lichtet derweil den Entstehungsprozess des Kunstwerks ab. Hauptberuflich arbeitet er als Fotograf, hat aber auch schon mehrere Graffitis in seiner Heimatstadt Los Angeles gesprüht. Der größte Unterschied zu den Tags und Schriftzügen in Berlin sei das Layout: „In LA ist ‘Heavy Metal-Graffiti‘ sehr angesagt. Geschwungene, spitz zulaufende Linien, bei denen man seinen Oberkörper in Bewegung halten und sich teilweise verrenken muss.“ Auf die Frage, welche Form der Street-Art ihm hier am besten gefalle, antwortet er: „Züge, besprühte Züge“. Die seien in Berlin einfach nur „sick“.
„Jede Stadt hat einen anderen Style“
Gegen 18 Uhr ist das Graffiti fertig. Mit Genugtuung betrachten die Freunde ihr Projekt und lassen sich auf den Stufen nieder. „Eigentlich schade, dass es bald übersprüht werden wird“, meint Eine. Prinzipiell mache ihm das zwar nichts aus, denn die Vergänglichkeit des urbanen Kunstwerkes gehöre zur Schönheit seiner Arbeit, aber gleichzeitig sollte ein solches Wandgemälde die Menschen ja auch inspirieren, sie nachdenklich machen oder ihnen ein Lächeln schenken, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Bevor wir uns trennen erzählt Eine von seinen nächsten Projekten. Man merkt ihm die Vorfreude an. „Wir haben den besten Job auf der Welt“, sagt er mit einem breiten Grinsen. „Früher wurden wir für unsere Aktionen verhaftet, heute bezahlen uns die Leute nicht nur dafür, sie streiten sich förmlich um uns.“
Es scheint also, als ob er einen Teil seiner Pläne doch noch realisieren konnte.
Hier findet ihr mehr Infos zu Urban Nation