Die aktuelle Ausstellung im Rohbau des Konversuchspeichers ist ein Rundgang durch die Geschichte des Graffiti Writing im Zeitraffer. Jedes Jahrzehnt von 1980 bis heute wird einzeln thematisiert – mit Fotos des Graffiti-Styles, Erklärung zu den WriterInnen und natürlich zur jeweiligen gesellschaftlichen Situation in Berlin. Denn zusammen mit der Stadt veränderte sich auch das Graffiti Writing: Die Umbruchphase des Mauerfalls schuf an vielen Stellen in Berlin Freiflächen, die geradezu eine Einladung für die Sprayer waren, sich künstlerisch auszutoben und ihr Markenzeichen zu hinterlassen.
Selbst eine Marke zu werden, das haben diese Männer auf jeden Fall geschafft: das Jahrzehnt zwischen 1980 und 1990er ist fast nur mit den Graffiti-Fotos der Sprayer-Legenden Crime und Brosowski gefüllt. Die beiden haben die Berliner Graffiti-Szene in Berlin damals mit aufgebaut. „Das hier heute sind eigentlich alles unsere Kinder“, wie Brosowski so schön sagt. Die beiden Kumpels und früheren Rivalen gehören zu den ersten, die in Berlin in den 1980ern gesprayt haben – Crime in der Punkszene im Norden bei der The Denots Crew aus Reinickendorf und Brosowksi als Hip Hopper in Steglitz/Friedenau bei der Saints Crew. Heute widmet sich Brosowksi vor allem der Kalligraphie, die er anspruchsvoller findet: sogar dreidimensionale Graffiti-Schriftzüge mit Legosteinen fertigt er an. Crime dagegen veranstaltet neben dem Sprayen noch das Battle of Schools, eine Graffiti und Street Art Meisterschaft an Schulen.
Nach der Entstehung der Sprayer-Szene 1980 durch amerikanische Vorbilder wuchs die Graffiti-Szene in Berlin rasch weiter, es entstanden eigene Graffiti-Shops und Magazine für die Subkultur. In den 2000er Jahren wurde die Berliner Graffiti-Szene dann durch Social Media und einigen Mega-Events in der Hauptstadt mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, aber auch stärker dem Druck kommerzieller Vereinnahmung ausgesetzt. Doch es entwickelten sich unter diesem äußeren Druck auch neue Prozesse der Erneuerung des Graffiti Writing, die wichtige Impulse für die Urban Art Szene setzten.
Über 40 Jahre Graffiti Writing in einer Ausstellung
Und heute? Seit 2010 verschwinden in Berlin die Freiräume für WriterInnen in der Stadt zunehmend. Es gibt kaum Leerstand mehr und die kommerzielle Vereinnahmung des öffentlichen Raums mit Werbung, Tourismus und Gentrifizierung führt zu einer Neuordnung innerhalb der Szene: Mainstream oder tiefster Underground. Diese Entwicklung bringt aber auch neue, innovative Techniken des Graffiti hervor. Der Kampf um die Frage – wem gehört die Stadt? – wird also auf immer kreativere Weise fortgesetzt.
Die in der Ausstellung Sorry! gezeigten Fotografien und Zeitdokumente kommen aus privaten, teils nie veröffentlichten Archiven und werden durch Texte sowie Erzählungen von WriterInnen ergänzt. Man sieht viele überstrichene Graffitis, aber auch einiges, das sogar heute noch steht. Der Besucher sieht das Tacheles mit unterschiedlicher Wandgestaltung im Wandel der Zeit, natürlich auch die Werke der Crew 1Up, einigen Lost Places in Berlin oder den S-Bahnhof Friedrichsstraße voller Graffiti-Tags. Auch neuere Formen der Street Art und Beton-Graffiti gehören dazu. Denn das Graffiti Writing entwickelt sich weiter – glaubt man Brosowski, dann geht der Trend eindeutig hin zur Graffiti-Kalligraphie – womit er dann mal wieder der Vorreiter gewesen wäre.
Die Ausstellung Sorry! ist bis voraussichtlich 26. Juni im Kornversuchsspeicher dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr in Moabit zu sehen.