Chinapfanne für 2,50 Euro, Döner-Menü mit Softdrink für ’nen Fünfer – die Preise im Berliner Bahnhofsviertel haben sich der Klientel angepasst. Die Bahnhofsmission ist nicht weit, Flüchtlinge ziehen bald in Traglufthallen ein – Moabit war schon zu Mauerzeiten der Stadtteil für all jene, die sich Kreuzberg nicht leisten konnten. Doch Grenzen verschieben sich, nach 25 Jahren Einheit nun auch am Hauptbahnhof. Das Grollen der Zwölftonner, das Ballett der Kräne sowie die Bretterzäune vor Baugruben und Rohbauten kündigen diese neue Zeit an, die Budenzauber und Sozialbauten verdrängen wird.
Am Hauptbahnhof liegt das Epizentrum des Berliner Baugeschehens. Ein Stück Stadt erhebt sich hier und füllt die Leere zwischen Mittes praller Kiezkultur und Westberlins dösendem Moabit. „Übernachten ab 69 Euro“ prangt vom grauen Turm an der Invalidenstraße. Das „Motel One“, drei Jahre jung, ist das Tor zwischen alter und neuer Stadt. Deren Vorbote erhebt sich wie ein Ausrufezeichen aus dem Brachland nördlich des Bahnhofs, das sanft geschwungene Hochhaus, die neue Europa-Zentrale des Ölmultis Total. In der Ödnis rundherum wachsen die nächsten Neubauten.
Das typische schäbige Bahnhofsviertel wird es in Berlin nicht geben
Wer aus dem Fenster des neuen Ministeriums blickt, sieht, wie nah alles ist, Charité auf der einen Seite, Regierungsviertel auf der anderen. Besser als von hier aus lässt sich Berlin nicht erobern, und deshalb reihen sich Hotel-Neubauten aneinander: Nördlich vom Bahnhof stehen die günstigen Häuser von Ibis und Amano fast fertig schon da. Auch südlich, in Sichtweite des Kanzleramtes, gibt es für jeden Geldbeutel etwas: Das billige Meininger versteckt sich endlich hinter dem noblen Steigenberger. Das Intercity-Hotel steht in zweiter Reihe. Auch ein neues Bürohaus entsteht dort, benannt nach Kennedy.
Noch maulen die Reisenden, der Hauptbahnhof sei schlecht zu erreichen. Tramschienen rosten ungenutzt vor sich hin. Aber auf der Mittelinsel der Invalidenstraße betonieren Arbeiter das Dach einer neuen Straßenbahn-Haltestelle. Schon im Sommer 2015 fahren hier Züge vom Nordbahnhof ein. Außerdem gibt es eine Haltestelle für die U-55 am Bahnhof. Aber die fährt nur wenige Stationen bis zum Brandenburger Tor. Ohne Umsteigen bis zum Alex, das geht erst Ende 2019. Wenn aber die „Kanzler-U-Bahn“ erstmal rollt, geht’s ruckzuck vom Bahnhof in die City.
Plötzlich endet die Stadt – noch
Es ist das, was von Teilung und Mauerjahren übrig bleibt. Denn wie dicht das Berlin der Gründerzeit hier mal war, zeigt sich auf dem Weg zurück zum Bahnhof, die Lehrter Straße hinunter. Mietskasernen mit Läden am Trottoir: Schnellkauf, Sultan Ahmed Camii-Moschee, Cafés, Bierbars. Weiter unten trennt eine Mauer aus rotem Backstein Moabit von der Zukunft, nur versprengte Altbauten stehen herum. Dabei verlaufen die Gleise für S- und Regional-Bahnen in stattlichem Abstand. Brache auch hier, Platz für Neues.
Zumal es sich hier leben lässt. Kletterhalle, Minigolf, Tennisplätze, Rodelbahn, Ruderanlage gibt es und das Stadtbad Tiergarten. Rund um Poststadion und Fritz-Schloss-Park haben Vereine und Firmen ihren Sitz, Läufer drehen ihre Runden. Danach geht’s in die Sauna oder ins Fitnessstudio, die „Vabali“-Therme ist bis Mitternacht offen. Wie janz weit draußen fühlt sich das an. Trotzdem wirken die paar Reihen Townhäuser am Südrand des Grünzugs fehl am Platze. Die Planer haben sie von der Stadt separiert durch hohe graue Mauern. Dahinter ist das Rattern eines Rasenmähers zu hören. Doch die 50 Quadratmeter-Grundflächen-Idylle bekommt bald neue Gäste: Flüchtlinge ziehen her, in zwei „Traglufthallen“ in die Nähe des Poststadions.
Ein letzter Schlenker die S-Bahn-Bögen entlang gen Westen: Das Bundesinnenministerium steht zum Einzug bereit, Anfang des Jahres, wenn es nach Plan geht. Lange Reihen schmaler Fenster in tiefen Ausschnitten einer hellen Fassade: Plastischer sind die Bauten der Berliner Moderne in der Ära von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher geworden. Aber schön?