Es ist noch gar nicht so lange her, da war Berlin Handballwüste. Die Füchse spielten irgendwo in einer unterklassigen Liga, die Nationalmannschaft feierte ihre Erfolge wenn überhaupt dann anderswo. Am gestrigen Montag aber war die Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg der Mittelpunkt der europäischen Handballwelt. Die Nationalmannschaft der Männer feierte zusammen mit tausenden johlenden Fans ihren sensationellen Titelgewinn bei der Europameisterschaft. Um kurz vor halb fünf am Nachmittag betraten die Helden von Krakau das Podest, der Jubel der Handballfans war noch im nahen Wedding zu hören. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, drang aus den Türen auch auf den angrenzenden Falkplatz, auf dem sich die Menschen stauten, die noch hineinwollten.
Zuerst wurde Bundestrainer Dagur Sigurdsson bejubelt, der noch vor kurzem die Füchse Berlin trainiert hatte. Der Isländer, der die deutsche Nationalhymne in Krakau so inbrünstig mitgesungen hatte, genoss die triumphale Rückkehr nach Berlin sichtlich: „Das ist meine Heimhalle.“ Jubel. Für den Torwartheroen Andreas „Wolff!“ „Wolff!“ „Wolff!“ gab es in regelmäßigen Abständen Extrasprechchöre. Substanzielles am Mikrofon hatten die Europameister kaum beizutragen, zu zerrieben waren die Stimmen von der nächtlichen Party. Nur von halb fünf bis sechs Uhr morgens hatten sie kurz geschlafen. Lediglich Finn Lemke war noch halbwegs gut bei Stimme. Er gab eine Kostprobe seiner herzhaften Kabinenansprache in der Halbzeitpause des Endspiels, als er eindringlich beschwor: „Heute nicht! Heute ist unser Tag, heute kann uns niemand schlagen!“ Um 17 Uhr gab es den größten Geräuschpegel, als die Spieler den Berlinern die Siegestrophäe in einem Feuerwerk präsentierten. Es roch nach Pulver und Bier. Oh, wie ist das schön.
Selbst Alexander Bommes wurde bejubelt
Egal, auch für Müller gab es Applaus und keine Buhrufe. Er wurde sogar dafür gefeiert, dass die Berliner und Brandenburger derzeit Schulferien haben und deshalb so zahlreich zur Party erscheinen konnten. Vor der Ankunft der Mannschaft wurden noch einmal die Höhepunkte des Spiels gezeigt, und die Halle jubelte bei jeder Parade, bei jedem Tor mit, als wäre es live. Eine Art verzögertes Public Viewing. Bereitwillig ließen sich die Feierwütigen in der Halle von Helene Fischer, Viva Colonia, Peter Schilling und tanzenden Maskottchen zum rhythmischen Klatschen animieren. Sogar der ARD-Moderator Alexander Bommes bekam zu seiner Überraschung einen Jubelsturm ab.
Nicht einmal vom Ständchen des österreichischen Kappenträgers DJ Ötzi ließen sich die Menschen die Stimmung verderben. Im Gegenteil: Seinen Song „Geboren, um dich zu lieben“ verkaufte er professionell an die Handballwelt. Schließlich hat er doch selbst mitgefiebert, wie er beteuerte. Bei der altbekannten Handballhymne „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ war die Textsicherheit auf den Rängen allerdings doch etwas besser. Die „Höhner“ hatten den Klassiker angeblich noch in der Finalnacht mit einem zeitgemäßen Text von der WM 2007 in die Gegenwart transferiert. Dieser geschäftliche Spürsinn zeigt: Handball in Deutschland, das ist kein Randphänomen, das ist die Mitte der Gesellschaft, so wie Grillen und Autowaschen. Es brauchte nur den richtigen Moment, um mit einem Wumms wieder auf dem großen Bildschirm zu erscheinen. 13 Millionen Deutsche hatten am Sonntag zugeschaut, als das junge deutsche Team die Spanier im Finale schlug – der Tatort Krakau hatte sogar den echten Tatort geschlagen.
So dominierte wohl auch vor allem die Neugierde darauf, die unverhofften Helden mal aus der Nähe zu sehen. Vor dem Turnier kannten schließlich selbst Experten nicht unbedingt Spieler wie Kai Häfner, Erik Schmidt oder Rune Dahmke. Insofern war es ganz sinnvoll, dass alle gestern noch einmal einzeln auf das Podium gerufen und vorgestellt wurden. Künftig wird das wohl nicht mehr nötig sein. Nun kennt man sie – auch in Berlin. Und auch die Europameister hatten noch nicht genug von der Party in der Hauptstadt. Ein Großteil des Teams blieb in der Stadt, um angemessen weiterzufeiern. „Heute Abend“, sagte Finn Lemke, „da geht bestimmt noch was.“