Er war der Punk des Handballs, er war der Lauteste unter den harten Jungs und er galt als einer der bestes Linksaußen der Welt: Auch mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Abschied als Spieler ist Stefan Kretzschmar bekannt wie ein bunter Hund. Das macht der Ex-Profi sich nun zunutze, um dem „geilsten Sport der Welt“ die Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, die er verdient. Nicht jede seiner Äußerungen trifft auf ungeteilte Zustimmung: Jüngst äußerte sich Kretzschmar gegenüber T-Online dazu, dass man sich als Sportler oder sonstiger Prominenter nicht mehr frei zu bestimmten Themen äußern könne, ohne empflindliche Reaktionen hervorzurufen. Besonders wenn man eine „gesellschafts- oder regierungskritische Meinung“ habe. Die AFD fühlte sich von dieser These gleich angesprochen und verbreitete sie weiter – was nicht Kretzschmars Intention war, er aber auch nicht verhindern konnte.
Auch Kretzschmars neues Buch sorgt für Gesprächsstoff. In Hölleluja berichtet er von Siegen und Niederlagen, von Schmerzen und ausgelassenen Partys, von kruden Geschäften und Teamgeist und wie die Frage, ob Mann oder Maus, ihn weit über seine Grenzen trieb. Und es wäre nicht Stefan Kretzschmar, wenn er das nicht mit gnadenloser Offenheit und trockenem Humor machen würde. Wenn du also bei der Handball-WM ab dem 10. Januar durch Insiderwissen brillieren und mit Anekdoten ganze Stammtische unterhalten möchtest, ist das Buch ein Muss.
Austeilen und Einstecken
Es war kein Zufall, dass Stefan Kretzschmar zum Handball kam. Seine Mutter war die beste Handballerin der Welt, sein Vater errang immerhin WM-Gold als Spieler und als Trainer, als Coach seiner Frau sogar olympisches Silber und Bronze. Dennoch bedurfte es Vitamin B, um den einst kleinen, zarten Kretzsche auf die DDR-Elite-Sporthochschule nach Hohenschönhausen zu bekommen. Jahrelang musste Kretzschmar Hohn und Spott von Mitschülern, Gegnern und sogar Lehrern ertragen, weil er es nur mit väterlicher Intervention in die Auswahl geschafft hatte. Er trainierte härter als alle anderen, erlangte eine meisterliche Technik und als mit 16 Jahren der ersehnte Wachstumsschub kam, der ihn auf 1,90 Meter brachte, begann sein unaufhaltsamer Aufstieg in die Profiliga.
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Spiel, Spaß, Spannung
Und weil Kretzschmar immer schon mit viel Leidenschaft dabei war, gibt er uns heute diese besonderen Einblicke in die Bundesliga und ihre Vereine, die sogar Fußballfans zweifeln lassen, ob sie dem richtigen Sport folgen. Kretzschmars Berichte über Manager, Trainer und Spieler haben enormes Unterhaltungspotenzial. So unverblümt er über seine eigenen Schwächen spricht, zum Beispiel wie er vom Titan zur Memme wird, wenn er eine Erkältung zu ertragen hat, so hart geht er mit anderen ins Gericht. Dreck am Stecken ist ein Thema, Honorare und Doping sind es auch. Die Vereine sind gewachsen, Unternehmen geworden und seit der Jahrtausendwende wandern sie sogar von den Dörfern in die Städte, dank der Füchse ist Berlin seit 2007 oben mit dabei. Und trotzdem wird der Handball wohl nie die Popularität des Fußballs erreichen… Dabei gibt es im Handball keine lahmen Spiele! Der Sport lebt von Schnelligkeit und Überraschungseffekten oder wie Kretzschmar es ausdrückt: „Es vergeht kein Spiel ohne absolut geile Tore, geniale Anspiele oder artistische Flugeinlagen, bei denen den Gesetzen der Schwerkraft getrotzt wird.“
Jedes Jahr ein Wintermärchen
Die Handball-WM vom 10. bis zum 27. Januar wird uns den trüben Winter in jedem Fall vergolden. Mindestens einmal solltest auch du live dabei sein in der Mercedes Benz Arena. Nach über 300 Seiten Lektüre haben wir verstanden, warum Handball „der absolute Wahnsinn“ ist. Und wir wissen die Kämpfe zu schätzen und die Triumphe zu feiern. „Die zwei Wochen einer Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft bieten jedes Jahr die große Chance, vom Randsport zu einem Massenphänomen zu werden (…)“, freut sich Kretzschmar, der immer noch das Aushängeschild des Handballs ist. In ein Loch ist er übrigens nie gefallen, nachdem er seine aktive Karriere 2007 beendet hat. Kretzsches Devise lautet: Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere. Als Sportdirektor, Berater und TV-Experte erlangte er eine 360-Grad-Perspektive auf den Sport, von der wir durch Hölleluja profitieren. „Handball ist nah am echten Leben und gerade deshalb keine heile Welt.“ Himmel und Hölle in einem.
Hölleluja!: Warum Handball der absolute Wahnsinn ist