Während die Politiker gar nicht weit auseinanderliegen, kündigt sich ein Streit mit der Handelsbranche über die Öffnungszeiten von Spätverkaufsstellen an. Im Abgeordnetenhaus sind alle Fraktionen bereit, nach den Sommerferien über die Legalisierung einer Öffnung an Sonn- und Feiertagen zumindest zu diskutieren. Voraussichtlich würde das Thema Sonntagsöffnungen dann noch einmal grundsätzlich diskutiert, erklärte ein Sprecher der CDU-Fraktion. Der Handelsverband spricht dagegen von einer „Wettbewerbsverzerrung“, wenn die schätzungsweise rund 1000 Spätis in Berlin bevorzugt würden. Die Gewerkschaft Verdi hält Lockerungen beim Verkaufsverbot an Sonntagen für „nicht konform mit dem Grundgesetz“.
Bereits am Montag hatte der Staatssekretär der Wirtschaftsverwaltung, Christoph von Knobelsdorff, die Spätis wie berichtet als Teil der Kiezkultur bezeichnet und verkündet, seine Behörde strebe „mehr Rechtssicherheit“ für die in der Regel inhabergeführten Kleinbetriebe an. SPD-Wirtschaftspolitikerin Liane Ollech versprach baldige Beratungen in dem Gremium. Spätis seien „auch ein Wirtschaftsfaktor und haben Ausbildungsplätze geschaffen“. Gesprochen werden müsse aber darüber, was an Sonntagen verkauft werden dürfe.
Politiker zeigen Entgegenkommen
Die Piraten stellen sich eine „möglichst liberale Regelung“ vor, die zur „Lebenswirklichkeit“ passe, sagte deren wirtschaftspolitischer Sprecher Pavel Mayer. Von den Grünen gibt es noch keine Festlegungen, das Gesetz solle aber zumindest überprüft werden. Sie attestieren den Läden eine „unverzichtbare“ soziale Funktion. In der Linksfraktion sei „die Richtung noch nicht eindeutig“, berichtete deren Vize-Vorsitzende Katrin Lompscher, die früher Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz war und sich in dieser Funktion selber lange mit dem Arbeitnehmerschutz im Einzelhandel beschäftigt hat. Auch in vielen Spätis seien Mitarbeiter abhängig beschäftigt, deren Interessen müssten mit der „Realität in der Millionenstadt“ in Einklang gebracht werden. Dies sei ein „schwerer Spagat“.
Inzwischen haben auch die Betroffenen von sich hören lassen: Die neue „Interessengemeinschaft der Kiez-Kioske“ wendete sich mit einem Brief an Landespolitiker: man verkaufe nicht nur Produkte, sondern bilde „durch die Einbindung im Kiez auch eine willkommene Anlaufstelle“ für Anwohner und Touristen. Die Läden, die üblicherweise Einzelkaufleuten gehörten, seien aber bedroht: Das Ladenöffnungsgesetz erlaube es auch großen Supermärkten, deren Preise man nicht unterbieten könne, von Montag bis Samstag 24 Stunden lang zu öffnen. Man brauche den Sonntag zur Existenzsicherung, habe aber selbst dann Nachteile gegenüber Tankstellen, die ein deutlich größeres Warensortiment anbieten dürften.
Unterstützung bekommt die Initiative vom Neuköllner SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck, den in seinem Wahlbezirk Spätkauf-Inhaber angesprochen hatten. Er möchte „die inhabergeführten Spätis mit Tankstellen gleichsetzen“. Langenbrinck bezeichnet das Urteil des Oberverwaltungsgerichts als lebensfremd, das den Verkauf an Sonntagen nur Läden erlaubt, deren Sortiment sich generell auf Zeitschriften, Blumen und Milchprodukte beschränkt.
Skepsis bei Branchenvertretern
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, hält das Urteil für überflüssig: „Wir hatten eine Art Burgfrieden“. Mit dem Einspruch gegen ein Verkaufsverbot am 1. Mai habe der Kläger, ein Pankower Späti-Betreiber, genau das Gegenteil dessen erreicht, was er beabsichtigt habe. Busch-Petersen stellte auch die Frage in den Raum, ob man „ein Gesetz für jemanden umschreiben sollte, der 20 Jahre lang gegen geltendes Recht verstoßen hat“. „Wettbewerbsverzerrungen“ dürfe es nicht geben. Für Erika Ritter, Handelsexpertin der Gewerkschaft Verdi, macht die Größe des Ladens keinen Unterschied: Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009 sei nur „unbedingt notwendige“ Sonntagsarbeit zulässig – und „dazu gehört Handel nicht“.
Die Händler im Hauptbahnhof verfolgen derweil die Debatte interessiert. Auch sie hoffen „auf einen Sinneswandel“, der ihnen entgegenkommt. Nach Angaben von Toni Brentstrup von der Werbegemeinschaft sind einige Bahnhofsläden gezwungen, sonntags Teile ihrer Produktpalette mit Flatterbändern abzusperren.
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