Leben am Wasser

Die Hausboot-Therapeutin in Oberschöneweide

Der Traum vom eigenen Hausboot: Wir waren in Oberschöneweide bei Kerstin Hack zu Besuch.
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Aussteiger sein kann man auch mitten in Berlin – so wie Kerstin Hack, die in einem Hausboot auf der Spree in Oberschöneweide wohnt und dort Menschen in Lebenskrisen unterstützt. Wie man sich einen Traum erfüllt, wie das Leben auf dem Wasser ist und wie eine Frau fünf Jahre lang ein Boot umbaute ...

Wenn Kerstin Hack morgens aufwacht, klettert sie die Leiter ihres Boots herunter und springt zum Aufwachen in die Spree. So beginnt ein normaler Tag auf ihrem Hausboot – ein Traum, den sie sich selbst mit jahrelanger, harter Arbeit erfüllt hat. Fünf Jahre lang restaurierte sie ein Boot, das früher als DDR Torpedofangschiff verschossene Übungsgeschosse aufsammelte. Es ist eines von nur vier Booten dieses Bautyps weltweit. Gebaut wurde das Boot als flaches Stahlschiff, später wurden Aufbauten hinzugefügt, um das Boot als Fahrgastschiff für Ausflüge nach Stralsund und Rügen in Betrieb zu nehmen. Später dümpelte es viele Jahre lang vergessen vor sich hin.

Als Kerstin das Boot kaufte, war es verrostet, der Motor kaputt und, wie sie nach dem Kauf herausfand, mit Löchern im Boden. Die Restauration sollte eine große Herausforderung mit einigen Rückschlägen werden: Nur mit zinslosen Krediten von Freunden konnte sich die Selbstständige den Bootsausbau leisten und, wie es sich eben oft verhält zwischen Planung und Realität, sprengten unvorhergesehene Schwierigkeiten den anfänglichen Finanz- und Zeitplan. „Irgendwann hat es mich so gestresst, die Gesamtkosten zu wissen, dass ich aufgehört habe nachzuzählen und stattdessen nur noch die Rechnungen bezahlte“, so die sympathische Brünette. Das Durchhalten lohnte sich – jetzt steht da auf der Spree ein gemütliches Hausboot mit zahlreichen Gimmicks und jedes Detail ist auf Kerstins Bedürfnisse zugeschnitten.

Kerstin Hack im roten Kleid springt auf dem Trampolin.

So viel Spaß muss sein: Während der Arbeit einfach mal ein bisschen den Kopf freispringen.

Luxus-Wohnung auf kleinstem Raum

Das Schiff bietet dank kluger Raumplanung erstaunlich viel Platz. Es hat drei Ebenen und ist dank der breiten Fensterfronten schön hell: Es gibt einen Meetingraum, ein buntes, gemütliches Wohnzimmer, ein Mini-Bad, unter Deck zwei Gästezimmer und natürlich ein eigenes Schlafzimmer und ein Büro für Kerstin. Auf dem offenen Heck am hinteren Schiffsteil wird das Gemüse aus dem kleinen Außenbeet gegrillt, Abendessen gekocht oder einfach unter dem Sonnensegel entspannt. Das Schiff ist sogar vollkommen autark, der Strom kommt über kleine Solaranlagen und es gibt einen eigenen Kompostierhang für die Toilette, der innerhalb von zwei Jahren den Dünger für den Garten produziert. Sogar Fußbodenheizung gibt es dank eines kleinen Ofens, der nur ein paar Briketts aus Sägespänen braucht. „Drei Euro gebe ich am Tag im Winter zum Heizen aus, mehr nicht“, so Kerstin.

Das sechs Quadratmeter kleine Büro der Lebensberaterin und Autorin ist gleichzeitig ihr Fitnessstudio:Die Emails beantwortet Kerstin, während sie auf ihrem Laufband marschiert, mit Hilfe eines extra gebauten Laptop-Aufsatzes. Auch telefonische Beratungen macht sie häufig, während eines Spaziergangs in der nahegelegenen Wuhlheide, denn Bewegung ist ihr wichtig. Das erklärt auch, warum der Bug vollgestellt ist mit einem Trampolin, einem Bauchtrainer und einem Hula Hoop-Reifen. Auch sonst erkennt man im Boot ihren Humor und ihre Liebe zum Detail: Eine Puppenhand hält die Klorolle, die Toilettenlampe besteht aus einer alten Kaffeemühle und ein aufgeschnittener Globus dient als Lampe im Wohnzimmer. Überall hängen motivierende Sprüche und, was nicht fehlen darf: am Schrank hängt ihre Kapitänsmütze, die sie zur Einweihung geschenkt bekommen hat.

Zwei Globen vor dem Wohnzimmer.

Die liebevolle Einrichtung sieht man an den zahlreichen, kreativen Details.

War es also schon immer der Traum von Kerstin, auf einem Hausboot zu leben? „Bevor es die Idee mit dem Hausboot gab, gab es schon lange den Wunsch nach einem Raum, an dem ich gemeinsam mit meinen Kunden leben kann“, erzählt die Beraterin, Autorin und Verlegerin. 2011 las sie einen Artikel über Hausboote und ihr gefiel die Idee, doch die Preise waren viel zu hoch. Eines Tages hörte sie durch Zufall von einem gemeinsamen Bekannten, der in Berlin als Schiffsbauer arbeitet und alte Kähne billig zu Hausbooten umbaut. „Das war meine Chance. Ansonsten hätte ich mir so ein Hausboot ja nie leisten können“, sagt Kerstin. Schon einen Monat später war das Boot gefunden, auf dem sie heute lebt und arbeitet. Ihre frühere Wohnung in Wilmersdorf hat sie untervermietet, da sie für die Behörden noch einen festen Wohnsitz benötigt, doch sie macht nur noch einmal die Woche einen „City Tag“.

Mit dem Kajak zum Einkaufen

Einsam wird das Leben auf dem Boot und dem Fabrikgelände nicht – ihr Schiffsbauer kommt manchmal zum Cellospielen vorbei, da es auf seinem Schiff dafür zu eng ist oder bringt frischen Fisch von der Stadtfarm. „Mein Leben ist begegnungsreicher geworden“, so Kerstin, deren Freunde sie nur zu gerne auf ihr Boot besuchen. Und dann sind da natürlich noch die Kunden, die sie an zwei Nachmittagen die Woche coacht und die auch ein bis drei Wochen bei ihr auf der Spree wohnen können. Zu Kerstin kommen Menschen, die Orientierung brauchen, unter Blockaden und Ängsten leiden oder mitten in einer Lebenskrise stecken. Sich um Andere zu kümmern ist ihre Leidenschaft: „Ich habe mich schon immer um andere gekümmert, mein Spitzname als Teenager war ‚das Huhn’“, sagt  sie mit ihrem fränkischen Dialekt, den man trotz 24 Jahren Berlin immer noch am rollenden „R“ heraushört.

Die Ratgeber-Autorin hat auch schon einige Bücher veröffentlicht, das neueste, Leinen los, ist jedoch keine Lebensberatung sondern erzählt vom Bau ihres Hausboots: „Wasser habe ich schon immer geliebt. Meine Mutter musste mich als Kind richtig zwingen, aus dem Wasser kommen, sogar wenn ich schon blaue Lippen hatte“, sagt die 51-Jährige lachend. Wie beruhigend das Leben an der Spree ist, merken wir während des Interviews: Hin und wieder gleiten fast lautlose Schiffe, Hausboote oder ein Ruderteam vorbei, im Wasser platscht ein Fisch und das Boot schwankt ganz sachte hin und her.

Das Wohnzimmer mit zwei Globen als Lampe

Das Wohnzimmer ist hell und gemütlich.

„Wenn man am Wasser wohnt, merkt man, wie stark die Verbindung zwischen Mensch und Natur ist“, erzählt Kerstin. Um die Umwelt zu schonen, wäscht sie sich nur noch mit Kernseife, Kokosöl wird als Sonnencreme benutzt und wenn sie ein Plastikstück vorbeischwimmen sieht, springt sie schnell ins Wasser und holt es heraus. Ihr Leben ist auf vielerlei Art nachhaltiger geworden: Zum Einkaufen paddelt sie zum Beispiel einfach fünf Minuten mit dem Kajak zum nächsten Supermarkt. Was sollte man da schon groß vermissen?

 

Wenn du Lust hast, dich von Kerstin Hack coachen zu lassen oder mit ihr auf dem Hausboot zu wohnen, guck doch einfach mal auf ihre Website.

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