Doch nun will der Eigentümer eines Charlottenburger Mietshauses sieben Steine entfernen lassen – angeblich wegen Stolpergefahr.
Drei der Stolpersteine gibt es seit fünf Jahren
Die Tafeln vor dem Haus Dahlmannstraße 1 nahe dem S-Bahnhof Charlottenburg sind auf Wunsch der Familien jüdischer NS-Opfer entstanden, die in einem früheren Wohngebäude an gleicher Stelle gelebt hatten. Nachkommen und engagierte Berliner finanzierten die Tafeln. Bereits im Juni 2009 wurden drei Stolpersteine verlegt; gewidmet sind sie Gertrud und Carl Cohn, die 1944 in Auschwitz ermordet wurden, und ihrem Sohn Martin, der sich unter dem Druck der Verfolgung von einer Brücke in den Tod stürzte.
Es geht um 30 bis 40 Zentimeter
Übersehen wurde vor gut fünf Jahren, dass die Pflasterung links und rechts vom Hauseingang nicht zum Gehweg gehört. Grenzsteine markieren den Übergang vom öffentlichen Straßenland zum Privatgrundstück des Hauseigentümers und Architekten Karlheinz Fischer. Die Stolpersteine liegen 30 bis 40 Zentimeter zu nah am Haus.
Am Standort der ersten Steine orientierte sich die Initiative später, als im März 2012, im April 2013 und im April dieses Jahres vier weitere Stolpersteine für das Ehepaar Brück und die Familie Kallmann hinzukamen. „Wir haben sie einfach daneben verlegt“, erinnert sich Lölhöffel. Für Gehwege gibt es eine allgemeine Erlaubnis des Bezirks.
Der Hauseigentümer nennt „versicherungsrechtliche Gründe“
Im Juni aber kam ein Brief des Hauseigentümers: „Schon aus versicherungsrechtlichen Gründen kann ich die glatten Stolpersteine jedoch auf meinem Grundstück nicht dulden.“ Die Initiative solle sie entfernen und „gegebenenfalls auf dem Gehweg“ neu einlassen.
Helmut Lölhöffel schrieb zurück, beschrieb den Sinn der Stolpersteine und wies darauf hin, dass allein in Charlottenburg-Wilmersdorf bereits rund 2600 verlegt wurden. Unfälle habe es nie gegeben. Sollte es andere Gründe geben, „würden wir diese gerne hören oder lesen“, erklärte er Fischer. Der 89-jährige Vermieter wohnt selbst nicht in der Dahlmannstraße, sondern in Westend.
Am Freitag lief eine gesetzte Frist ab
Zunächst geschah nichts – bis Fischer Anfang November ein Ultimatum stellte: Bis Freitag, 21. November, müssten die Stolpersteine weg. Sonst werde er sie „durch meine Handwerker entfernen lassen und in meinem Büro verwahren“. Dort könnten die Steine abgeholt werden, wenn man ihm die Lohnkosten ersetze. Geschehe dies nicht bis Ende Mai, „werde ich sie danach entsorgen“.
„Dieser Fall ist einzigartig in Berlin“, sagt Koordinator Lölhöffel. Die Initiative verlege jährlich rund 400 Stolpersteine. Bisher hätten Hauseigentümer immer zugestimmt, wenn es ausnahmsweise mal um private Grundstücke gegangen sei.
Für den Tagesspiegel war Fischer seit Freitagvormittag nicht erreichbar. Bereits in den Briefen hatte er es strikt abgelehnt, seine Beweggründe näher zu erläutern. Jeder könne „über sein Eigentum bestimmen, wie es ihm beliebt“. Man müsse ja auch keine Aufkleber an der eigenen Kleidung oder am Auto dulden.
„Schändung des Andenkens“
Jetzt hat das Ultimatum einen Sturm der Empörung ausgelöst. Anwalt und Kunstförderer Peter Raue, der ganz in der Nähe wohnt, schaltete sich als Rechtsbeistand der Initiative ein und erinnerte Fischer ans Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet.“
Dem Tagesspiegel liegen zwei Protestbriefe von Angehörigen vor; in einem spricht eine Enkelin und Nichte der Opfer aus der Familie Cohn von „Schändung des Andenkens“. In einem dritten Schreiben findet ein Berliner Ehepaar, das die Tafeln für Familie Brück bezahlt hatte, der Grundstückseigner solle sich „unendlich schämen“.
Die Initiative versetzt die Steine nicht
Eine Mieterin im Haus nannte das Verhalten des Eigentümers „kleinkariert“. Am Sonnabend waren die Steine noch da. Lölhöffel putzte sie und legte Blumen nieder. Sie zu versetzen lehnt er weiterhin ab. Das würde zwar nicht viel kosten, weil Auszubildende des Lehrbauhofs Berlin-Brandenburg die Stolpersteine verlegen, wäre aber „pietätlos“.