„Schämt euch“, riefen etwa 30 Demonstranten den Besuchern der Buchpremiere in der Urania entgegen. Sie trotzten Sturm und Regen, um ihre Botschaft rüberzubringen. „Neukölln ist überall“, das Buch von Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) polarisiert – ebenso unvermeidlich wie gewollt.
Wer sich in den ausverkauften Saal der Urania begab, um Buschkowskys Gespräch mit der Journalistin, Autorin und Neuköllnerin Güner Balci zu verfolgen, dem wurde jedoch schnell klar: Ein Rassist ist dieser Mann nicht. Dieser Vorwurf kommt reflexhaft und wird dem engagierten Bürgermeister nicht gerecht. Auch im Gespräch mit Balci, die über die Rolle der Stichwortgeberin nicht hinauskam, gab sich Buschkowsky hemdsärmelig – das ist sein Stil. Der ist sehr unterhaltsam, auch wenn mal ein Spruch daneben geht.
Vor allem wurde jedoch deutlich, dass sich Buschkowsky einsetzt. Die Bildung ist sein großes Thema, hierin sieht er den möglichen Schlüssel für die Lösung der Probleme, nicht nur in Neukölln. Die Chancen für alle Kinder zu verbessern, ob sie aus einer Migrantenfamilie kommen oder nicht, ist sein Anliegen. Und er glaubt an die Möglichkeit des Erfolgs.
Nostalgie und Parallelgesellschaften
Buschkowsky wirft in seinem Buch wie auch bei der Veranstaltung in der Urania einen nostalgischen Blick zurück auf das Neukölln von früher, zählt auch die selbstverständlich nach wie vor existierenden Sehenswürdigkeiten auf. Dies konterkariert er mit der Bildungsferne vieler heutiger Bewohner von Nord-Neukölln, den angeblich existierenden Parallelgesellschaften dort. Dass er sich gegen einen Kulturrelativismus ausspricht, der Grundgesetz und Menschenrechte untergräbt, kann man dem Bürgermeister kaum vorwerfen.
Das Problem bei dem Buch ist Buschkowskys Verständnis von Integrationspolitik. Er nutzt bei der Erklärung den Vergleich mit einem Unfallschwerpunkt: Dort kümmere man sich ja auch nicht um die vielen Autos, die eine solche Stelle unfallfrei passieren, sondern vorrangig um die, bei denen es kracht. Das ist politisch absolut nachvollziehbar, bedeutet aber übertragen auf sein Buch, dass hier die Extremfälle gescheiterter Integration verdichtet vorkommen und die Erfolgsgeschichten eher am Rande. Buschkowsky führt sie an, sie gehen jedoch meist im Meer der Negativbeispiele unter – ein Problem, das sein Buch nicht exklusiv hat.
Buschkowsky und Sarrazin
Dennoch nimmt man Buschkowsky ab, dass er sich mit ganzem Herzen für Neukölln einsetzt. Er kritisiert im Buch die heftigen sozialen Kürzungen und Privatisierungen des Parteikollegen und ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin. Sie hätten eindeutig zu einer Verstärkung der Problemlagen in Neukölln beigetragen. Auch wenn sich Buschkowksy nicht nur im Fall Sarrazin über die vermeintlich organisierte Empörung empörte – sein Buch hat kaum etwas mit dessen Werken zu tun. Für Sarrazins Wirken als Finanzsenator prägt er sogar den Begriff „Sarrazynismus“.
Dass Neukölln nun wirklich überall ist, konnte Heinz Buschkowsky auf die abschließende Frage von Güner Balci hin nicht beweisen. Doch es gelang ihm an diesem Abend, die meisten Vorwürfe gegen sich zu entkräften. Das Publikum bestand zwar ohnehin größtenteils aus Fans, doch der Verteilung des Applauses nach zu urteilen nicht aus tumben Rechtspopulisten. Ob sich Buschkowskys Vision eines zukünftigen Neukölln erfüllen wird, bleibt abzuwarten – was er skizziert, erscheint jedoch durchaus lebenswert.
Heinz Buschkowskys Buch „Neukölln ist überall“ ist im Ullstein-Verlag erschienen.
Urania e.V., An der Urania 17, 10787 Berlin, www.urania.de