Tagesspiegel-Serie zu Berliner Plätzen

Hermannplatz: Aufwärts in kleinen Schritten

Früher drehte sich das "Rixdorfer Tanzpärchen" am Hermannplatz stündlich zweimal um die eigene Achse.
Früher drehte sich das "Rixdorfer Tanzpärchen" am Hermannplatz stündlich zweimal um die eigene Achse.
Ein Publikum von Alkoholikern und Junkies macht den Hermannplatz in Neukölln zu einem Ort, an dem sich keiner gerne aufhält. Doch die Situation hat sich schon gebessert. Der tobende Verkehr ist ein weiteres Problem – das durch einen Umbau aber eigentlich schon längst gelöst sein sollte.

Der Boden bebt im Minutentakt. Unterm Hermannplatz verkehren die U-Bahnen. Vier muskulöse Polizisten in kugelsicheren Westen laufen vorbei an Marktständen, an denen Eukalyptusbonbons, Melonen, Schaffelle, Herrenshorts und Damenblusen verkauft werden. In der Mittagszeit sitzen Menschen auf den Betonumrandungen der oft leeren Beete und essen Pommes oder Falafel.

Rainer Perske ist seit fünf Jahren Betreiber des Marktes und blickt sich zufrieden um: „Keine Junkies und Drogendealer zu sehen.“ Dann deutet er auf ein älteres, bürgerlich wirkendes Ehepaar, das auf der einzigen Bank hier Platz genommen hat. „Dass ältere Leute sich hier ohne Angst längere Zeit aufhalten, das ist neu“, meint er.

Vieles ist besser geworden

Perske ist der Ansicht, dass sich seit Kurzem auf dem Hermannplatz vieles zum Guten gewendet hat – und zwar aus einer wirklich schlechten Situation heraus: „2010 habe ich 50.000 Euro für den Ordnungsdienst gezahlt. Die Stammkundschaft blieb weg. Ich war kurz davor, den Markt zuzumachen. Alles wegen der Massenansammlungen von Junkies und Alkoholikern mit aggressiven Hunden. Bis zu 50 Leute. Der Platz war ein gefährlicher Ort, wo man nicht gern hinging.“

Neben Rainer Perske steht Gülaynur Uzun, 46. Sie kümmert sich als Stadtteilmutter um Neuköllner Familien und zeigt als Stadtführerin im Projekt Route 44 ihren Kiez. Wenn ihre Töchter zur Nachhilfe, zum Selbstverteidigungskurs oder zum Kinderarzt wollen, müssen sie über den Hermannplatz. „Letztes und vorletztes Jahr war es wirklich schlimm“, sagt sie. „Da hatte ich Bedenken, mit meinen Kindern hier langzugehen, nachdem wir mehrere Prügeleien mit ansehen mussten. Aber jetzt ist es hier wieder ganz angenehm.“

Auch der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) sagt, die Probleme mit den Junkies seien dank der massiven Polizeipräsenz kleiner geworden. „Man kriegt nicht mehr auf jedem Quadratmeter Cannabis angeboten.“

Kein Alkohol und keine Radler

Jetzt ist an fünf bis sechs Tagen die Woche Markt, anstatt an vier. In dieser Zeit muss die Marktordnung eingehalten werden: kein Alkohol und keine Fahrradfahrer. Jens Lange setzt die Regeln durch. Der schmale 31-Jährige marschiert an jedem Markttag über den Platz – in Jeans, eleganten Lederschuhen und offenem Hemd überm T-Shirt. „Eine andere Art Sicherheitsdienst, nicht so aufgepumpt, kein Schrank in schwarzer Uniform, der Aggressionen provoziert“, erklärt Perske. Lange bittet Radfahrer höflich abzusteigen. Und studentische Touristen bittet er nett auf Englisch, ihre Bierflaschen zu entsorgen.

„Das Publikum auf dem Hermannplatz hat sich sehr verändert“, sagt Jens Lange, der in Neukölln aufgewachsen ist. „Seit Kurzem kommt öfter eine Frau her, die mit Tai-Chi-Vorführungen Werbung für ihre Kurse in der Nähe macht. Und Studenten breiten Picknickdecken aus.“

Umbaupläne für den Hermannplatz

Rainer Perske hätte hier gern noch einen Café-Stand. „Aber alles nur als Zwischennutzung“, erklärt er. „Schließlich will der Bezirk den Platz komplett umbauen.“ Schon 2009 gab Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) den Umbau des Hermannplatzes  bekannt – für 2012. Der Fußgängerbereich soll auf die südöstliche Seite verschoben, alle Fahrspuren auf die nordwestliche Seite vor die Karstadt-Filiale verlegt werden. Kostenpunkt: zehn Millionen. So die Schätzung des Baustadtrats 2009. „Die Verkehrsknotenpunkte an den beiden Enden des Platzes sind die Unfallschwerpunkte im Bezirk Neukölln“, sagt Blesing. Das soll durch den Umbau anders werden.

Doch heute, im Jahr 2012, ist davon weit und breit nichts zu sehen. Fragt man Blesing, warum nicht, gibt er eine lange Erklärung über die „notwendige Verschiebung nach hinten.“ Er redet über die Finanznöte des Bezirks, schwierige Absprachen mit der Senatsverwaltung, Lärm- und Umweltgutachten, Investitionspläne und die ebenfalls schwierige Kooperation mit dem Nachbarbezirk Kreuzberg, der ja unmittelbar an den Hermannplatz grenze. Immerhin sei die Sache furchtbar teuer. Nur der Umbau der Ampeln koste schon eine Million. „Schwierig, schwierig, schwierig“ sei das alles. Immerhin: Im nächsten, noch nicht vom Abgeordnetenhaus abgesegneten Haushaltsplan des Bezirks sei der Baubeginn für 2015 vorgesehen.


Quelle: Der Tagesspiegel

Hermannplatz: Aufwärts in kleinen Schritten, Hermannplatz, 10967 Berlin

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